Paul Valéry denkt über die Arten des Selbstmords nach

Selbstmörder tun sich laut Paul Valéry entweder Gewalt an oder sie geben sich selber nach und scheinen einer verhängnisvollen Biegung ihres Schicksals zu folgen. Die einen stehen seiner Meinung nach unter dem Zwang der Begebenheiten, die anderen bezwingt ihre eigene Natur. Und alle äußeren positiven Umstände, die ihnen das Leben bereithält, wird sie nicht davon abhalten, ihr Leben zu verkürzen. Paul Valéry beschreibt noch eine weitere Variante des Selbstmords: „Noch aber eine dritte Art des Selbstmordes lässt sich aber denken. Es gibt Menschen, die ihr Leben so kühl betrachten und von ihrer Freiheit eine so unbedingte, so eifersüchtig gehütete Vorstellung haben, dass sie nicht gewillt sind, die Umstände ihres Todes dem Zufall der Geschehnisse oder der Wechselgeschicke ihres Organismus zu überlassen.“

Das Ganze wird nur wegen eines bestimmten Übels ausgelöscht

Diese dritte Kategorie von Menschen widern das Alter, der Verfall und die Überraschung an. In der Antike findet man gemäß Paul Valéry einige Beispiele und das Lob dieser fast unmenschlichen Standhaftigkeit. Wogegen der von den Umständen hervorgerufene Selbstmord vom Selbstmörder zu einem bestimmten Zweck erdacht wird. Paul Valéry schreibt: „Er erklärt sich aus der Unmöglichkeit, ein bestimmtes Übel genau auszumerzen. Der Teil kann nur über die Vernichtung des Ganzen getroffen werden.“

Diese Menschen geben das Ganze und die Zukunft auf, um das Einzelne und die Gegenwart zu zerstören. Sie löschen dabei sogar ihr Bewusstsein aus, weil sie es nicht verstehen, nur den einen Gedanken zu eliminieren. Daneben schalten sie das ganze Empfindungsvermögen aus, weil sie mit einem bestimmten, unbesiegbar anhaltenden Schmerz nicht fertig werden. Paul Valéry gibt ein Beispiel: „Herodes lässt alle Neugeborenen erwürgen, weil er den einzigen nicht zu erkennen vermag, auf dessen Tod es ihm ankommt.“

Alles scheint trauriger als das Nichtsein

Gemäß Paul Valéry reißt die Erbitterung über eine unerreichbare Stelle des menschlichen Wesens, das Ganze zur Selbstvernichtung hin. Der Verzweifelte wird dazu geführt und gezwungen, ohne Unterscheidung zu handeln. Diese Art des Selbstmords ist eine grobe Lösung. Es ist nicht die einzige dieser Art, wie Paul Valéry erklärt: „Die Geschichte der Menschheit ist voller grober Lösungen. Alle unsere Ansichten, die Mehrzahl unserer Urteile, die meisten unserer Handlungen sind bloßer Notbehelf.“

Einige der Selbstmörder suchen nicht wirklich den Tod, sie wollen nur eine Art von Trieb befriedigen. Manchmal ist es auch die Todesart selbst, die für sie faszinierend ist. Wer sich am Galgen sieht, wird sich laut Paul Valéry niemals in einen Fluss stürzen. Der Ertrinkungstod ist für ihn mit keinerlei Inspiration verbunden. Allen Selbstmördern aber gilt das Leben scheinbar als vergeblicher oder mühseliger Traum, der ihnen immer mehr zur Last wird. Alles scheint ihnen trauriger und nichtiger als das Nichtsein.

Von Hans Klumbies