Immer weniger Steuergelder kommen der Gesellschaft zugute

Die übermäßige Verschuldung des Staates hat laut Paul Kirchhof zur Folge, dass er erhebliche Haushaltsmittel für Zinszahlungen verwenden muss. Die Steuerkraft der Bürger dient in diesem Fall also nicht der Finanzierung gegenwärtiger Staatsaufgaben, sondern beschert privaten Unternehmen Einnahmen und Gewinn. Paul Kirchhof ist überhaupt nicht damit einverstanden, dass der Zinsdienst im Bundeshaushalt, nach Arbeit und Soziales, zum zweitgrößten Haushaltsposten geworden ist. Er fügt hinzu: „Der Bürger erlebt, dass sein demokratischer Anspruch, das Parlament in seinem Budgetverhalten zu ermächtigen und zu kontrollieren, für einen wesentlichen Teil des Budgets nicht verwirklicht werden kann.“ Paul Kirchhof ist einer der führenden Finanzexperten und bekanntesten deutschen Autoren. Er ist Professor für Öffentliches Recht sowie Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg und war zwölf Jahre Richter des Bundesverfassungsgerichts.

Der Steuerstaat droht seine innere Legitimation zu verlieren

Der Bürger ist mit Rückzahlungen und Zinszahlungsverpflichtungen konfrontiert, die von Rechts wegen zu zahlen sind. Sollte er ein neues Parlament und eine neue Regierung wählen, könnten diese die Verwendung von Steuererträgen zugunsten Dritter nicht mindern oder unterbinden. Paul Kirchhof stellt fest: „Die Idee der demokratischen Legitimation und der Macht auf Zeit ist gefährdet.“ Die Staatschulden werden gegenwärtig nicht abgebaut. Das bedeutet für den Steuerzahler und Bürger, dass sie sich vorerst darauf einstellen müssen, dass der Wert ihrer Steuerzahlungen, der der Gesellschaft zugute kommt, sich ständig mindert.

Der deutsche Staat wird zunehmend fremdbestimmt, die Bürger müssen eine Umverteilung von der Allgemeinheit der Steuerzahler zu einer kleinen Gruppe von Kreditgebern dulden. Tendenziell handelt es sich dabei um einen Geldstrom, der von arm zu reich fließt. Paul Kirchhof warnt: „Der Steuerstaat droht seine innere Legitimation zu verlieren. Das Budgetrecht des Parlaments und dessen demokratische Verantwortlichkeit werden innerlich ausgezehrt. Der Finanzstaat sieht seine Finanzautonomie zunehmend in Frage gestellt.“

Der Finanzmarkt drängt den Staat in die Rolle des lenkbaren Schuldners

Die Staatschuld greift laut Paul Kirchhof auf zukünftige Steuererträge im Vorhinein zu, finanziert in der Gegenwart mehr, als die Steuerpflichtigen durch ihre Zahlungen dem Staat geben. Der Steuerstaat finanziert also Leistungen jenseits dessen, wozu die Bürger ihn befähigt und ermächtigt haben. Paul Kirchhof klagt an, dass dieser Vorgriff auf die Zukunft die nächste Generation benachteiligt, soweit diese tilgen und Zinsen zahlen muss, da ein großer Teil der Haushaltsmittel dadurch gebunden sind.

Eine große Bedrohung sieht Paul Kirchhof darin, dass der Finanzmarkt zunehmend die Finanzpolitik des Staates bestimmt und ihn aus dem Status des demokratischen Souveräns in die Rolle des lenkbaren Schuldners drängt. Deshalb regelt die neue Schuldenbremse des Grundgesetzes ein grundsätzliches Verbot der Neuverschuldung für Bund und Länder. Paul Kirchhof erklärt: „Die Verfassung fordert eine nachhaltige Finanzpolitik, die langfristig plant, auch langfristige Verbindlichkeiten kennt, dabei aber die jeweilige Finanzkraft maßvoll für den Steuerpflichtigen, zeitgerecht für den Jahreshaushalt einschätzt und regelt.“

Von Hans Klumbies