Nur der Mensch kann die Herrschaft über sich selbst und die Welt gewinnen

Der Mensch beobachtet, wie die Vögel fliegen, mit Leichtigkeit in den Himmel aufsteigen und sich wieder herabfallen lassen. Er bewundert diese Kunst. Er staunt. Doch dann macht er sich bewusst, dass er die Welt zwar nicht von oben herab sehen, wohl aber in seinem Denken an die Vergangenheit erinnern und aus Erfahrung in die Zukunft voraussehen kann. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Er kann sprechen und die Welt in Begriffen begreifen. Er kann Gesetzmäßigkeiten der Natur und Gesetze menschlichen Verhaltens erkennen und so die Herrschaft über sich selbst und die Welt gewinnen.“ Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Die Staatsbürger müssen die Freiheit als eigenes Anliegen aufnehmen

Diese Fähigkeiten machen den Menschen gelassen. In diesem in sich ruhenden Selbstbewusstsein wächst der Mut zur Freiheit. Freiheit erlebt die Welt, begegnet den Menschen, ist von Struktur und Kultur der Umwelt abhängig. Sie antwortet auf die Wirklichkeit, in der ein Berechtigter lebt. Sie ist nur in Kulturen möglich, die eine individuelle Freiheitsbereitschaft und Freiheitsfähigkeit begründen. Freiheit muss in der konkreten Ordnung, in der sie gelten will, gelebt, von den Staatsbürgern verstanden und als eigenes Anliegen aufgenommen werden.

Die Freiheit hängt von Frieden und von der Sicherheit ab, dass die Menschen das Lebensnotwendige erwerben können, ihre Kinder gut erziehen, die Kranken heilen und die Bedürftigen betreuen. Der Mensch der Gegenwart beansprucht die Freiheit, um sich gegen staatliche Willkür und Gewalt, um von gesellschaftlichen Mächten – seinem Arbeitgeber, seinem Vermieter, dem Großkonzern – unabhängig zu sein. Er nutzt seine Freiheit, um sich und seine Familie selbst zu unterhalten und für Wechselfälle des Lebens vorsorgen zu können.

Die Freiheit dient der Selbstgestaltung des eigenen Lebens

Der Mensch erwartet staatlichen Schutz, um gegen Bedrohungen und Nachstellungen – durch den Feind, das Verbrechen, den missgünstigen Konkurrenten – gewappnet zu sein. Diese Freiheit ist eine Freiheit von etwas, von Unterdrückung, Bedrohung, Schicksalsschlägen, Angst. Sie ist aber vor allem eine Freiheit für etwas, die Selbstgestaltung seines Lebens. In der deutschen Rechtsgeschichte war die Freiheit zunächst ein Privileg einzelner Stände vor anderen Gruppen.

Der Freie war sozial besser gestellt als der andere. Diese Freiheit war für die Berechtigten ein Vorrecht, für die anderen Anreiz. Die unfreien Dienstboten konnten aufsteigen, die Edelfreien allerdings auch absteigen. Die Regel „Stadtluft macht frei“ versicherte dem hinzugezogenen Unfreien, nach Jahr und Tag in den Genuss der städtischen Freiheit zu gelangen. Frei ist der Mensch, der sich selbst zu eigen ist, „dem sein Hals selbst gehört“, der nicht im Besitz eines anderen, nicht in Leibeigenschaft steht. Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof

Von Hans Klumbies