Das Leben fließt nie konfliktfrei dahin

Harmonie bedeutet laut Reinhard K. Sprenger nicht Gleichklang, sondern Zusammenklang. Letzteres funktioniert nur bei „Gegenstimmen“. Harmonie ist also ein kluger Umgang mit Gegenstimmen. Befreien muss man sich aber vor allem von der Erwartung, das Leben müsse irgendwie konfliktfrei fließen. Jede Verhandlung im Geschäftsleben ist im Grunde konfliktär. Als Beispiel nennt Reinhard K. Sprenger die Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Auch in Projekten und Teams ist Konfliktfreiheit wirklichkeitsfremd. Im Grunde ist jede Veränderung mit Spannung verbunden, weil sie alle jene zum Gegner hat, die aus dem Status quo ihre Vorteile ziehen. Das Bild vom ruhigen Fluss führt also in die Irre. Das Gegenteil ist richtig: Konflikt ist das Normale. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

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Arme Länder leiden am stärksten unter der Klimakatastrophe

In der Metropole Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas, leben fünf Millionen Menschen. Dort herrscht ein Klima, das sich seit Anfang der 1950er Jahre wesentlich verändert hat. Nadav Eyal stellt fest: „Die Regenfälle der Monsunzeit sind kürzer und heftiger als früher. Die jähen Wolkenbrüche führen zu riesigen Überschwemmungen in den Armenvierteln.“ Im Jahr 2016 erlebte das Land die schlimmste Dürre der letzten vierzig Jahre. Im selben Jahr gingen im westlichen Tiefland innerhalb von zwei Tagen 300 Millimeter Regen nieder. Im Jahr darauf wurde Sri Lanka von den stärksten Regenstürmen seit vierzehn Jahren heimgesucht. Diese vernichteten Dutzende Prozent der Reisernte und ließen Hunderttausende Einwohner ohne Sicherheit der Ernährung zurück. Derartiges geschieht in armen Ländern immer wieder. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Seinem Schatten kann niemand entfliehen

Sein Schatten fordert Zarathustra auf, auf ihn zu warten. Er versucht ihm allerdings davonzulaufen und begründet dies damit, dass „ihn ob des vielen Zudrangs und Gedränges in den Bergen“ „ein plötzlicher Verdruss überkam“. Er besiegelt das Ganze mit dem Ausruf: „Mein Reich ist nicht mehr von dieser Welt, ich brauche neue Berge.“ Christan Niemeyer erläutert: „Dieses Aufbruchsmotiv spielt allerdings in der Folge keine Rolle mehr. Eigentlich nachvollziehbar, denn seinem Schatten kann man nicht entweichen, wie auch Zarathustra bald feststellen muss.“ Plötzlich anhaltend, wird der fast umgeworfen von seinen „Nachfolger und Schatten. Dieser macht im Übrigen keinen guten Eindruck: „so dünn, schwärzlich, und überlebt“, wie er aussah, „wie ein Gespenst“. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

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Lügen zerstören eine Beziehung

Martin Hartmann definiert Lüge als Behauptung, deren Inhalt der Sprecher für falsch hält. Er stellt sie aber mit der Absicht auf, andere mit Blick auf diesen Inhalt zu täuschen. Es ist relativ leicht zu erkennen, dass Lügen das Vertrauen in einer Beziehung empfindlich stören oder sogar zerstören. Deswegen sagt man oft, die Lüge, wenn sie denn bemerkt wird, markiere das eigentliche Ende des Vertrauens. In manchen Beziehungen kann es jedoch durchaus sinnvoll sein zu lügen oder unaufrichtig zu sein. Aber unter normalen Umständen gehen Menschen davon aus, dass andere die Wahrheit sagen. Martin Hartmann ergänzt: „Wenn jemand uns dauerhaft anlügt, brechen wir in der Regel das Verhältnis zu ihm ab.“ Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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Die Leistungselite lebt gern ihr ganzen Potential aus

Zur Leistungselite zählen Menschen, die gerne deutlich mehr leisten als das Nötigste, Übliche, das Minimum. Weil sie gerne ihre ganzes Leistungspotential ausleben, gerne in die Vollen gehen, nichts von unnötiger Schonung halten. Man darf diesen Willen zur Leistung auf keinen Fall mit „Competitiveness“, also dem Hunger nach Medaillen verwechseln. Evi Hartmann erklärt: „Der Erfolgshungrige liebt den Erfolg. Er möchte die Medaille, den „Verkäufer des Monats“, den „besten Papa der Welt“. Leistung ist für ihn Mittel zum Zweck. Zum Zwecke des Erfolgs.“ Nichts dagegen! Auch Evi Hartmann mag Erfolg mehr als Misserfolg. Das erklärt jedoch nicht, warum die Leistungselite auch da leistet, wo es keinen Erfolg zu ernten gibt. Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.

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Die Flusslandschaft des Po ist in Italien einzigartig

Eine Landschaft, die derart vom Fluss geprägt ist wie die Flusslandschaft des Po und seiner Zuflüsse, wird man auf der italienischen Halbinsel ein weiteres Mal nicht finden. Wer die Regionen Italiens in ihrer charaktervollen Vielfalt vor Augen hat, dem werden auch zu dieser Landschaft die eigentümlichen Züge gleich in den Sinn kommen. Es handelt sich dabei um eine Region, die in allen Phasen der italienischen Geschichte dem Historiker große Beispiele bietet. Arnold Esch weiß: „Von den großen Mächten so begehrt, dass sie am ehesten hier ihren Kampf um die europäische Hegemonie austrugen.“ Zudem ist sie eine hochproduktive Region in allen wirtschaftlichen Sektoren. Arnold Esch ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

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Der Mensch hat sein Leben selbst in der Hand

Markus Hengstschläger beschreibt den Menschen in seinem neuen Buch „Die Lösungsbegabung“ als ein lösungsbegabtes Wesen. Dieses auch genetisch mitbestimmte Potenzial muss man jedoch laufend nutzen und trainieren. Markus Hengstschläger schreibt: „Nur so versetzen wir Menschen uns in die Lage, die vorhersehbaren und auch unvorhersehbare Probleme der Zukunft zu bewältigen.“ Er rät mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu spazieren. Denn nur so kann man tolle Dinge finden, die man gar nicht gesucht hat. Die großen Herausforderungen der Gegenwart erinnern die Menschen täglich daran, wie dringend neue kreative Ideen und innovative Konzepte auf allen Ebenen benötigt werden. Denn für so manche bereits bekannte Herausforderung der Menschheit ist es schon fünf vor zwölf. Professor Markus Hengstschläger ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der MedUniWien.

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Beim Denken sollte die Vernunft herrschen

Das Denken nach Vernunft, die Verantwortlichkeit in Humanität, das Leben im Einklang mit der Natur sollte bei den Menschen im Vordergrund stehen. Denn dann scheint für Paul Kirchhof der Weg zu einer Erneuerung des Gemeinwesens in Freiheit geebnet. Diese Idee fand insbesondere in Frankreich verbreiteten politischen Widerhall. Sie hat aber die Repräsentanten des alten Feudalsystems nicht überzeugt. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Ihr Widerstand war entschieden, hat den Erneuerern die Gelassenheit geraubt.“ Sie stürzten sich deshalb in eine Revolution. Diese führte jedoch letztlich zu Terror, Guillotine, Diktatur und Krieg. Die Revolutionäre vernichteten sich dabei weitgehend selbst. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Vertrauen lässt sich nicht erzwingen

Die Frage des Vertrauens ist es, die das aktuelle Geschehen tief durchdringt. Deshalb lautet das Titelthema des neuen Philosophiemagazins 01/2021 auch: „Worauf vertrauen?“ Grundsätzlich lässt sich Vertrauen nicht erzwingen. Es kann nur geschenkt und jederzeit wieder entzogen werden. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt im Editorial: „Wer das Vertrauen eines Menschen missbraucht, läuft Gefahr, es für immer zu verlieren.“ Das Wesen des Vertrauens liegt jedoch darin, dass es keine feste Basis hat. Es ist gerade die Freiheit, die es überhaupt erst ermöglicht und beginnt erst da, wo die eigene Verfügungsgewalt aufhört. Freiheit und Vertrauen bedingen sich also gegenseitig. Worauf vertrauen? In der Antwort offenbart sich, wer man ist und wer man sein will. Denn ohne Vertrauen in die Selbstdisziplin der anderen wären moderne Gesellschaften in ihrer extremen Komplexität undenkbar.

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Ein erfülltes Leben ist möglich

Der Soziologe Hartmut Rosa beschäftigt sich mit der Frage, was man für ein erfülltes Leben braucht. Diese Frage, so Hartmut Rosa, sei konsequent in die Sphäre des Privaten verdrängt worden. Im gesellschaftlichen Diskurs sei sie beinahe völlig tabuisiert und damit entpolitisiert worden. Dirk Steffens und Fritz Habekuss ergänzen: „Die Suche danach, was glücklich macht, konzentriert sich folglich vor allem auf das Streben nach mehr Wohlstand.“ Zwischen einem gelingenden Leben und Geld existiert zwar wirklich ein Zusammenhang. Aber die Kurven des Glücks und des Wohlstands trennen sich bereits auf recht niedrigem Niveau. Denn dann müsste ja jeder, der einen Job, eine Wohnung, genug zu essen und obendrein noch Mittel für Auto und Urlaub hat, immer völlig glücklich sein. Hartmut Rosas These ist, dass es im Leben darum geht, wie man die Welt erfährt und wie man zu ihr Stellung nimmt.

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Hass kann sich zu einem Flächenbrand ausweiten

Oscar Wilde stellte die rätselhafte Behauptung auf: „Die meisten Menschen sind jemand anderes.“ Er begründete seine Ansicht sehr überzeugend: „Ihre Gedanken sind die Meinungen anderer, ihr Leben ist Nachahmung, ihre Leidenschaften sind Zitate.“ Amartya Senn stimmt dieser Auffassung zu: „Tatsächlich werden wir in erstaunlichem Maße von Menschen beeinflusst, mit denen wir uns identifizieren.“ Sektiererischer Hass kann sich, wenn er aktiv geschürt wird, zu einem Flächenbrand ausweiten. Amartya Sen nennt als Beispiele den Kosovo, Bosnien, Ruanda, Timor, Israel, Palästina und den Sudan. Das Gefühl der Identität mit einer Gruppe kann, entsprechend angestachelt, zu einer mächtigen Waffe werden, mit der man anderen grausam zusetzt. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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In Krisen muss die Politik die Konjunktur beleben

In schweren Wirtschaftskrisen erwartet man von der Politik, dass sie eingreift, um die Konjunktur zu stabilisieren. Clemens Fuest erläutert: „Steuern werden gesenkt und Staatsausgaben erhöht, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stützen. Die Notenbanken öffnen die Geldschleusen, um Banken und Unternehmen liquide zu halten.“ Die Coronakrise weist jedoch eine Reihe von Besonderheiten auf, die es erschweren, durch Fiskal- und Geldpolitik gegenzusteuern. Das lässt sich anhand des Vergleichs mit der globalen Finanzkrise erläutern. In der Finanzkrise gab es große Verwerfungen, weil Immobilienkredite platzten und Banken mit schwacher Eigenkapitalbasis kollabierten. Da Bankenpleiten sich sehr negativ auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken, sahen viele Regierungen sich gezwungen, Banken zu retten. Die Bankenrettungen mit Steuergeldern haben jedoch für viel Verbitterung in der Bevölkerung gesorgt. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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Die Kommunikation ist extrem schnell geworden

Ein Klima der Kälte, Härte und Strenge schafft effiziente Apparate und Programme für die maximale Optimierung von Ressourcen. Dabei entsteht eine perfekte rationale Ordnung von Raum und Zeit. Diese ist verbunden mit extrem schnellen Formen der Kommunikation. Isabella Guanzini kritisierte: „Doch dies garantiert keine menschenwürdige Situation für die Beteiligten und auch keinen gemeinsamen Horizont, in dem man einen Sinn fürs Leben und für das Zusammenleben finden könnte.“ Die jüngeren Generationen erleben hautnah die Kluft zwischen Zweckrationalität und symbolischer Verantwortung. Diese wird in dieser Rationalität so gut wie systematisch annulliert. Die Wegscheide nimmt der Einzelne im Innersten wahr, auch wenn er dies nicht oft zum Ausdruck bringt. Die Überproduktion von Sprachen und Strategien der Kommunikation dient der Werbung und dem Marketing der Dinge und Informationen. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

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Leistung kann nicht am Erfolg gemessen werden

Die Medaille ist Sinnbild des Erfolgs. Leistung ist etwas ganz anders. Manche Spitzenathleten wissen das. Über eine Goldmedaille entscheidet manchmal die Tagesform, der Zufall, das Wettkampfglück. Über den Markterfolg von Managern, Produkten und Unternehmen entscheiden auch die Konjunktur, die Konkurrenz, das Weltgeschehen – alles Faktoren, die ein Manager – und sei er auch noch so gut – nicht beeinflussen kann. Deshalb kann er trotzdem exzellente Leistung bringen. Evi Hartmann erklärt: „Leistung ist das, salopp gesprochen, in ein Vorhaben reinsteckt. Ergebnis ist das, ebenso salopp, was dabei herauskommt.“ Leistung schafft Zukunft, sowohl auf individueller Ebene der Selbstverwirklichung als auch auf gesellschaftlicher Ebene, zum Beispiel bei Herausforderungen wie der Digitalisierung. Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.

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Stephen Hawking zählt zu den größten Denkern aller Zeiten

Leonard Mlodinow bringt in seinem neuen Buch „Stephen Hawking“ seinen Lesern den weltberühmten Physiker auf eine Art und Weise näher, wie ihn nur die wenigsten Menschen kannten. Er war einsam, obwohl er nie allein sein durfte. Stephen Hawking war ein Sturkopf, der Freude daran hatte, seine Fehler öffentlich einzugestehen. Er glaubte nicht an Gott, ging aber in die Kirche und konnte dort Tränen vergießen. Stephen Hawking war zudem ein verletzlicher Mann, der keine Angst kannte, aber sich am lebendigsten fühlte, wenn er dem Tod ganz nahe kam. Zugleich erklärt Leonard Mlodinow eingängig Stephen Hawkings große Entdeckungen und macht deutlich, unter welchen Kämpfen sie zustande kamen. Der Autor entwirft ein faszinierendes Porträt eines der größten Denker aller Zeiten und eines Menschen voller Widersprüche. Leonard Mlodinow, Physiker und Autor, lehrte am California Institut of Technology in Pasadena.

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Es gibt eine Parallelwelt der Affekte

Der Bestandteil des menschlichen Geistes, der wie es scheint, das Dasein eines Menschen beherrscht, betrifft die tatsächliche oder aus dem Gedächtnis abgerufene Welt. Sie setzt sich zusammen aus ihren menschlichen oder nichtmenschlichen Gegenständen und Ereignissen. Diese sind in den unzähligen Bildern aller Sinneskanäle repräsentiert. Häufig übersetzt man sie in verbale Sprache und strukturiert sie in Narrativen. Antonio Damasio fügt hinzu: „Und doch gibt es bemerkenswerterweise auch eine mentale Parallelwelt, die alle diese Bilder begleitet und häufig so unterschwellig ist, dass sie für sich keinerlei Aufmerksamkeit fordert. Gelegentlich wird sie aber auch so bedeutsam, dass sie den Weg des hervorstechendsten Teils unseres Geistes verändert und manchmal fesselt. Dies ist die Parallelwelt der Affekte.“ Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Werte müssen immer neu verhandelt werden

Viele Menschen glauben, es gäbe ein Allheilmittel für oder eigentlich gegen die Pluralisierung. Isolde Charim erläutert: „Mehr noch als die Leitkultur aber mit dieser eng verwoben ist das neueste Kaninchen aus dem Allheilmittel-Hut, die Werte.“ „Unsere“ Werte. Bisher führte die Bildung das Ranking der Allheilmittel an. Nun sind es die Werte. Wobei diese Diskussion meist unterstellt, diese „unsere“ Werte seien ein fixer Katalog, ein feststehender Kanon – und nicht etwas, das immer wieder neu verhandelt wird und werden muss. Dabei unterschlägt diese Diskussion einen zentralen Wert der Demokratie: die Verhandelbarkeit selbst. Die Möglichkeit also, ebenjene Werte immer wieder zu verhandeln und damit umzuschreiben. Die Debatte um die Werte dreht sich immer um das Akzeptieren der Grundwerte. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Unternehmen missachten ihre Verantwortung

Wenn milliardenschwere Unternehmen öffentlich verkünden, künftig nicht nur gegenüber den Shareholdern, sondern auch gegenüber allen Stakeholdern, etwa gegenüber ihren Kunden und Angestellten, verantwortlich handeln zu wollen, kommt das für Daniel Goeudevert einem unfreiwilligen Geständnis gleich. Und zwar, dass sie diese Verantwortung bislang missachtet haben. Der ehemalige Top-Manager hält solche, mehr oder weniger ungeschickten, Marketing-Kampagnen für nichts anderes als rhetorische Umarmungen. Sie sollen dem Zeitgeist Tribut zollen und um Wählergunst buhlen. Gleichzeitig sollen sie dazu dienen, mögliche Verschärfungen bei der Besteuerung oder Regulierung der Unternehmen abzuwehren. In den Firmen- und Parteizentralen geht man davon aus, dass sich solche positiven Signale rasch versenden, im Sinne von versickern. Ohne dass später auch tatsächlich Konsequenzen eingefordert werden. Daniel Goeudevert war Vorsitzender der deutschen Vorstände von Citroën, Renault und Ford sowie Mitglied des Konzernvorstands von VW.

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Der Autoritarismus war in Deutschland immer da

Die AfD sitzt heute als drittstärkste Partei im Deutschen Bundestag und ist in allen deutschen Landtagen vertreten. Trotz aller Wahlerfolge der Rechten haben die rechtsautoritären Haltungen in der deutschen Gesellschaft insgesamt abgenommen. In den USA bevorzugen 22 Prozent der erwachsenen Bürger einen politischen Führer, der ohne Parlament und ohne die Intervention von Gerichten regieren kann. In Deutschland teilen nur sechs Prozent diese Meinung. Noch im Jahr 1967 gab die Hälfte der Deutschen an, dass der Nationalsozialismus im Grunde eine gute Idee gewesen sei. Herbert Renz-Polster ergänzt: „In den 1960er Jahren saß die NPD in sieben von zehn Landesparlamenten.“ Selbst in der Mitte der Gesellschaft waren damals autoritäre und selbst rassistische Haltungen noch immer gang und gäbe. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.

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Sex braucht weder Sünde noch Scham

Nur wenige kulturelle Projekte waren so total wie das der sexuellen Befreiung. Es befreite den Geschlechtsverkehr von Sünde und Scham. Und es verwandelte die Sexualität unter tätiger Mithilfe der Psychologen in ein Synonym für emotionale Gesundheit und Wohlbefinden. Eva Illouz ergänzt: „Zugleich war es ein Projekt, das darauf abzielte, Frauen und Männer, Heterosexuelle und Homosexuelle gleichzustellen. Damit war es auch ein wesentlich politisches Projekt.“ Die sexuelle Befreiung legitimierte darüber hinaus die sexuelle Lust als Selbstzweck. Zugleich nährte sie damit die Vorstellung von hedonistischen Rechten. Dabei handelt es sich um jenes diffuse kulturelle Gefühl, das Individuen einen Anspruch auf sexuelle Lust haben, um ein gutes Leben zu verwirklichen. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Außerdem ist sie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

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Das Zeitalter des Anthropozäns hat begonnen

Dort, wo die Natur Ressourcen anbietet, wird sie selbst von höchst bescheidenen Gesellschaften vielfältig in Dienst genommen. Zudem beutet man sie oft genug auch aus, wodurch aus der zunächst unberührten Vorgabe die mehr und mehr kultivierte Natur entsteht. Otfried Höffe erklärt: „Schon weit länger als der Atmosphärenchemiker Paul Crutzen 2002 annimmt, leben wir in jenem Erdzeitalter des Anthropozän. In diesem ist der Mensch („Anthropos“) zum stärksten Antreiber ökologischer, selbst geologischer Prozesse geworden.“ Offensichtlich ist die dabei vorgenommene Kultivierung ein Freiheitsprozess in beiden Kernbedeutungen. Als eine allerdings nie endende Überwindung von Gefahren erhöht sie die negative Freiheit. Soweit dabei Erträge gesteigert und Arbeitsvorgänge erleichtert. Überdies schafft man Arbeitsplätze, auch Annehmlichkeiten und Wohlstand geschaffen. So zeichnet sich die Indienstnahme der Natur durch einen emanzipatorischen Charakter aus. Soweit sie aber eine neuartige Lebenswelt schafft, wächst die andere, positive Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Das Kind übernimmt Modelle in sein Selbst

Das Gehirn des Menschen wird in weiten Teile sozial konstruiert. Einem angeborenen Bedürfnis ihres Zentralorgans folgend, suchen Säuglinge und Kleinkinder bei ihren Bezugspersonen nach den Eindrücken, die sie in sich aufnehmen. Diese legen sie als Kopie in sich ab und machen sie zu einem Teil ihres Selbst. Der unausgesprochene Auftrag des Kindes an seine Bezugspersonen ist: Lass mich – durch die Resonanz, die ich von dir erhalte – spüren, dass ich existiere. Zeige mir durch die Art, wie du auf mich reagierst, wer ich bin. Joachim Bauer erläutert: „Das Kind übernimmt nicht nur gute, sondern auch schlechte Modelle. Diese begegnen ihm am Beispiel seiner Bezugspersonen, Mentoren oder sonstiger Vorbilder. Es integriert sie in sein Selbst.“ Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.

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Die Normalisierung des Wahnsinns macht Angst

In seinem aktuellen Buch „Neue Irre!“ stellt Manfred Lütz fest, dass die Normalisierung des allgemeinen Wahnsinns Angst verbreiten kann: „Überall laufen immer mehr Irre herum.“ Dazu zählt der Autor Massenmörder, Kriegshetzer, Lügner, Betrüger und rücksichtslose Egomanen. Dabei stellt Manfred Lütz ein Dilemma fest. All diese Typen kann man leider nicht behandeln, denn sie sind normal, jedenfalls nicht krank, aber gerade deswegen brandgefährlich. Die meisten wirklich psychischen Erkrankungen dagegen sind heilbar. Aber leider wissen das zu wenige Menschen. Denn psychische Krankheiten spielen sich nach wie vor im Schatten der Gesellschaft ab. Deswegen ist Manfred Lütz die Aufklärung darüber so wichtig. In seinem neuen Buch will er wieder einmal beweisen, dass Psychiatrie und Psychotherapie keineswegs nur bierernste Geschichten zu erzählen haben. Dr. med. Dipl. theol. Manfred Lütz ist Psychiater, Psychotherapeut, Kabarettist und Theologe.

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Sensationsgier in den Medien ist verwerflich

Massenmedien verhandeln über Schuld. Sie tun das in unmittelbarer Weise in unzähligen Formen der Darstellung. Das Bild krimineller Handlungen ist viel mehr als früher kommunikativ und nicht durch persönliches Erleben bestimmt. Die neue, scheinbar neutrale Informationstechnologie, zeichnet sich durch eine praktisch verzögerungsfreie Gleichzeitigkeit aus. Die Auffächerung der öffentlichen Kommunikation über Identität, Gefahr und Sicherheit ist nicht neu und verwunderlich. Thomas Fischer stellt fest: „Sie ist eine Grundbedingung der menschlichen Zivilisation.“ Man sollte daher nicht fordern, die Mechanismen von Verstärkung, Gerüchten, Verzerrung, Sensationalisierung und kommunikativer Dramatisierung abzuschaffen. Es ist für Thomas Fischer aber verwerflich und verantwortungslos, sie gezielt zu verstärken oder gar erst zu erzeugen. Betroffenheit muss zuerst jeweils erst hergestellt werden, indem Nähe suggeriert und imaginiert wird. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Die Aufklärung fordert einen mündigen Menschen

Paul Kirchhof schreibt: „Die Aufklärung bündelt eine Entwicklung, die in den humanistischen Idealen von Einzelpersönlichkeit und Menschlichkeit, im wissenschaftlichen Weltbild der frühen Neuzeit ihre Wurzeln hat.“ Die Menschen emanzipieren sich von der traditionellen Kirchlichkeit. Sie suchen die Eigenständigkeit der Städte und eines Bürgertums und folgen einem wachsenden Fortschrittsglauben. Die Aufklärung erklärt die bisherigen Menschen für selbstverschuldet unmündig und führt ihn aus seinem Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ ist der Wahlspruch der Aufklärung. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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