Das Wissen hat die Welt zum Besseren verändert

Der Glaube und das Wissen verlangen im Rahmen der notwendigen Autorität die absolute Unterwerfung der Menschen. Ein Hinterfragen der „Wahrheiten“ ist oft nicht erwünscht. Ille C. Gebeshuber stellt fest: „Natürlich hat das System Wissen dem System Glauben, das Gott in den Mittelpunkt stellt, einiges voraus.“ Die Einführung des auf der Natur aufbauenden wissenschaftlichen Systems erlaubte nicht nur die Schaffung einer gesicherten Wissensbasis, sondern auch die Vernetzung des Wissens. Die gesellschaftliche Entwicklung, die auf diesem Wissen aufbaute, führte zum Umdenken der Renaissance. Das Interesse der Menschen an ihrem Umfeld wuchs, und wer um die Dinge weiß, den kümmern sie. Das Wissen hat, durch den mit ihm zusammenhängenden Humanismus, die Welt zum Besseren verändert. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

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Hegel ist ein Philosoph des Politisches

Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist offensichtlich ein Philosoph des Politischen, und so wurde und wird er auch rezipiert. In der Gegenwart gibt es zudem ein starkes Interesse an seiner Rechtsphilosophie. In dieser sehen viele ein probates Mittel zur Überwindung der Krise der liberalen Demokratien. Patrick Eiden-Offe stellt fest: „Das ganze 20. Jahrhundert hindurch zog man Hegel als Ratgeber in Krisen- Umbruchssituationen heran.“ Der große marxistische Literaturwissenschaftler Hans Mayer hat Hegels „Phänomenologie des Geistes“ immer wieder gelesen: „Nicht als berühmtes Buch der Philosophiegeschichte, sondern als Einübung beim Verstehen meiner jeweiligen Gegenwart“. Es geht also nicht darum, die Begriffe Hegels auf die eigene Gegenwart in Gebrauch zu nehmen. Sondern es geht darum, die Gegenwart erst einmal als eine unverstandene anzuerkennen und sich ihr dann in einem langen Prozess anzunähern. Patrick Eiden-Offe ist Literatur- und Kulturwissenschaftler.

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Im Universum sind keine Fallen aufgebaut

Die Menschen dehnen ihren Erkenntnishorizont so weit wie jemals möglich aus. Das bedeutet, dass sie unterstellen, dass das Universum sich weiterhin als mehr oder weniger erkennbar für sie herausstellt. Markus Gabriel fügt hinzu: „Wir erwarten nicht, dass im Universum Fallen eingebaut sind, die es unmöglich machen, Weiteres über es herauszufinden.“ Und selbst wenn es solche Fallen gäbe, könnten die Menschen diese physikalisch nicht entdecken – das soll ja gerade der Trick solcher Fallen sein. Markus Gabriel nennt dies das „Prinzip der Erkennbarkeit“. Das Universum ist demnach mindestens in dem Maße erkennbar, in dem die Menschen es naturwissenschaftlich erfasst haben. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Das Vertrauen ist selbst in einer Krise

Vertrauen reagiert nicht auf eine Krise, indem es in Misstrauen kippt. Denn ist selbst Teil einer Krise. Martin Hartmann nennt ein Beispiel: „Wie umfassend die Zweifel an alten Gewissheiten geworden sind, können auch die Diskussionen zum Klimawandel zeigen.“ Natürlich gibt es eine ganze Menge Evidenzen, die nahelegen, dass menschliche Einflüsse das Erdklima erwärmen. Wirkliche Gewissheit gibt es aber, so behaupten manche, nicht. Das ist die Chance der Leugner und natürlich auch der Verschwörungstheoretiker. Beide leben weniger vom kalkulierbaren Risiko als von der prinzipiellen Ungewissheit, von der sie sich ernähren. Man kann Verschwörungstheorien bekanntlich nicht widerlegen, und zwar nicht nur, weil sie meist von paranoiden Charakteren getragen werden. Diese haben keinerlei Interessen an einer Belehrung. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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Für die Macht von Märkten gibt es Grenzen

Adam Smiths „unsichtbare Hand“ ist für Joseph Stiglitz vielleicht die bedeutendste Idee in der modernen Volkswirtschaftslehre überhaupt. Es handelt sich dabei um die Annahme, eigennützige Interessen zu verfolgen, führe wie von „unsichtbarer Hand gelenkt“ zum gesamtwirtschaftlichen Wohlergehen. Aber schon Adam Smith erkannte auch die Grenzen der Macht von Märkten und die Notwendigkeit staatlichen Handelns. Inzwischen weiß man, dass die Rolle des Staates in einer Marktwirtschaft fundamental ist. Man braucht ihn, damit er tut, was Märkte nicht tun können, und um zu gewährleisten, dass Märkte so funktionieren, wie sie funktionieren sollten. Damit Märkte von sich aus gut funktionieren, müssen zahlreiche Bedingungen erfüllt sein. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Die Raumzeit existiert in ihrer Gesamtheit

Die meisten Menschen nennen diejenigen Dinge „real“, die jetzt, in der Gegenwart existieren. Nicht das jedoch nennen sie „real“, was vor einiger Zeit existiert hat oder in der Zukunft existieren wird. Sie sagen, dass die Dinge in der Vergangenheit real „waren“ oder dass es die in der Zukunft „sein werden.“ Sie sagen aber nicht, dass sie real sind. Carlo Rovelli erläutert: „Die Philosophen nennen Präsentismus die Vorstellung, dass nur die Gegenwart real sei.“ Real seien aber nicht die Vergangenheit und die Zukunft, denn die Realität entwickelt sich von einer Gegenwart zur nächsten. Diese Art Denken funktioniert nur dann, wenn Gegenwart global definiert wird. Nicht aber, wenn man sie nur für das nähere Umfeld eingrenzt. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Maren Urner: „Alles beginnt in unserem Kopf!“

Wie können sich Menschen aus der Endlosschleife von Krisen befreien? Antworten auf diese Frage gibt Maren Urner in ihrem neuen Buch „Raus aus der ewigen Dauerkrise“. Dabei muss man lernen, die gewohnten Denkmuster hinter sich zu lassen. Die Autorin stellt dazu die neuesten Erkenntnisse der neurowissenschaftlichen und psychologischen Forschung vor. Maren Urner zeigt, wie man sein Gehirn besser verstehen und nutzen kann, um den Krisenmodus zu überwinden. Ihr Credo lautet: „Alles beginnt in unserem Kopf!“ Außerdem beschreibt sie die Denkfallen, die Menschen gerade in Krisenzeiten das Leben schwer machen und sie von einem Missverständnis zum nächsten stolpern lässt. Deshalb stellt Maren Urner das Konzept eines neuen, dynamischen Denkens vor, das den Weg aus der Endlosschleife des vermeintlich alternativlosen Denkens weist. Dr. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.

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Josef H. Reichholf kennt viele Flüsse

Der Fluss hat keine Definition nötig, möchte man meinen. Jedes Fließgewässer, vom Bach bis zum Strom, vom Rinnsal bis zum Kanal, ist sichtbar. Allenfalls stellt sich die Frage nach der Größe. Weil die längsten Flüsse auch nicht die wasserreichsten sein müssen. Und weil ihre Wasserführung bekanntlich stark schwanken kann. Josef H. Reichholf weiß: „Aber ganz so einfach ist es nicht, wenn wir ein Fließgewässer genauer charakterisieren oder in einer bestimmten Weise nutzen wollen.“ Nur eine grobe Annäherung bildet eine kartografische Darstellung. Ihr lässt sich entnehmen, am besten von der Mündung aus, also an seinem „Ende“ beginnend, wie lang der Fluss ungefähr ist. Denn die entfernteste Quelle wird üblicherweise als Anfang gewertet. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

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Ideen verbesserten die Umstände des Menschseins

Die Umstände des Menschseins verbesserten sich nicht dank eines kosmischen Ereignisses oder eines Geschenks der Götter. Es waren Ideen, die alles veränderten. Ideen, die der wissenschaftlichen Revolution und der Aufklärung zugrunde lagen. Die Rettung der Menschheit aus dem erschütternden Elend ihrer Vorväter kam mit der Anerkennung von Gedankenfreiheit. Ebenso wichtig war die Befreiung von Knechtschaft und Aberglaube. Dazu kam noch die Zerschlagung des kirchlichen Monopols durch das Wissen und die Achtung der Autonomie des Individuums. Nadav Eyal ergänzt: „Die Werte der Aufklärung, darunter Freiheit und Gerechtigkeit, bildeten die Grundstein für den Aufbau sozialer Einrichtungen und den Schutz privaten Eigentums.“ Sie brachten einen erheblichen Fortschritt in die Lebensumstände der Menschen. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Die liberalen Demokratien sind gefährdet

Mit Überzeugung und Selbstgewissheit hat das liberale Establishment den weltweiten Vormarsch des Ultrakapitalismus betrieben. Und dies unbeirrt durch alle Krisen hindurch, konsequent seit den siebziger Jahren. Dieses Unterfangen ist laut Roger de Weck gelungen. Trotzdem mündet es jetzt in ein doppeltes Fiasko: „Sowohl die liberale Wirtschaft als auch die liberale Demokratie sind weniger liberal geworden.“ Die Marktwirtschaft hat sich in eine Machtwirtschaft verwandelt. Zudem rütteln zwei Spielarten des Autoritarismus am Fundament liberaler Demokratien. Erstens die Willkürherrschaft der Reaktionäre. Zweitens die Geldherrschaft von Milliardären, sprich Plutokratie. Der Sieg der Neoliberalen bedrängt den Liberalismus und die Liberalität – eine fatale Erfolgsgeschichte. Im Kapitalismus hatte das Kapital seit je Vorrang vor andern Faktoren der Produktion. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Das Coronavirus war nicht besonders tödlich

Skeptiker weisen gerne darauf hin, das Bemerkenswerteste an der Covid-Krise sei, dass man aus etwas Gewöhnlichem eine globale Krise gemacht hätte. Egal, was man tut, Menschen sterben, und an Covid sterben dieselben Menschen, die normalerweise auch sterben – alte Menschen mit Vorerkrankungen. Adam Tooze nennt Beispiele: „In einem normalen Jahr sterben diese Menschen an Grippe und Lungenentzündung. Jenseits des privilegierten Kerns der reichen Welt sterben Millionen von Menschen an Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und HIV. Und trotzdem geht das Leben weiter.“ Das Coronavirus war, gemessen an den Maßstäben historischer Seuchen, nicht besonders tödlich. Was beispiellos war, war die Reaktion. Überall auf der Welt kam das öffentliche Leben zum Erliegen, genauso wie große Teile des Handels und des regulären Geschäftsverkehrs. Adam Tooze lehrt an der Columbia University und zählt zu den führenden Wirtschaftshistorikern der Gegenwart.

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Dem Sozialstaat droht die Überforderung

Die Coronakrise hat weitreichende Folgen für die Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie für die Zukunft des Sozialstaats. Clemens Fuest erklärt: „In der Krise erleiden sowohl Vermögende als auch viele abhängig Beschäftigte Verluste. Verschiedene Gruppen sind sehr unterschiedlich betroffen.“ Schon während der Krise zeigt sich, dass Menschen mit hoher Berufsqualifikation besser vor Jobverlusten geschützt sind als andere. Nach der Coronakrise wird sich das Gefälle in den Berufs- und Einkommenschancen zwischen hoch und niedrig qualifizierten Erwerbstätigen voraussichtlich weiter vergrößern. Das hat laut Clemens Fuest zwei Gründe. Der erste liegt in der Beschleunigung der Digitalisierung und des Strukturwandels. Sie begünstigt höher qualifizierte Arbeit. Der zweite liegt in den Schulschließungen während der Krise. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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Jeder Mensch kann Neues hervorbringen

Jeder Mensch sollt seine Talente und all seine harte Arbeit dafür einsetzen, um etwas Neues zu erschaffen. Und es gibt wahrlich noch viel zu tun. In so vielen Bereichen herrscht immer noch dringender Bedarf an kreativen, innovativen Lösungsansätzen. Als Beispiele nennt Markus Hengstschläger das Klima, die Armut, den Hunger, die Bildung, die Gesundheit, die Menschenrechte und vieles mehr: „Bei allen Komponenten die das Überleben der Menschen gefährden, tritt global immer mehr, aber auch immer noch zu wenig Übereinstimmung ein.“ Zum Beispiel bei politischen oder wirtschaftlichen Fragestellungen gibt es keine globale Zusammenarbeit, keine gemeinsame Identität oder Loyalität. Die Frage, was denn nun das Bessere wäre, wird nicht selten global und lokal kontrovers diskutiert. Professor Markus Hengstschläger ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der MedUniWien.

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Freiheit ist tief im Leben verankert

Verschiedene Freiheitsaspekte sind für die Moderne wesentlich. Dazu zählt die Gedankenfreiheit, die jenseits von Autoritäten selbst zu denken erlaubst. Sie beschert als Freiheit von Wissenschaft und Forschung diesen eine nie nachlassende Blüte. Und jene Freiheit der Person, die sich mit den anderen Freiheitsbereichen, etwa der sozialen und politischen Freiheit, nicht zufriedengibt, sondern eine „Willensfreiheit“ innere Freiheit meint. Otfried Höffe fügt hinzu: „Zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit gehört, dass sich die erstgenannte Freiheit gegen die zweite wendet. Denn im Rahmen der Forschungsfreiheit werden gegen die Annahme der inneren, personalen Freiheit Einwände laut.“ Zunächst sind es Philosophen, später Einzelwissenschaftler, die sich der Annahme, der Mensch sei frei, widersetzen und die personale Freiheit rundum leugnen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Champagner kann man immer trinken

Champagner ist kein Wein nur für Geburtstage und Silvester. Ebenso gibt es in der Champagne nicht nur luxuriöse Handelshäuser. Aldo Sohm und Christine Muhlke wissen: „Unabhängige Start-ups revolutionieren das Geschäft.“ Die Champagne wurde als letzte Region von den Römern für den Weinanbau erschlossen, weil es dort eigentlich zu kalt war. Außerhalb dieser Region erzeugte perlende Weine darf man nur als Schaumwein bezeichnen. Oder als Crémant, wenn sie aus einer von acht bestimmten Regionen außerhalb der Champagne kommen. Üblicherweise wird er aus den Rebsorten Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay verschnitten. Innerhalb der Ursprungsbezeichnung sind allerdings vier weitere erlaubt. Österreicher Aldo Sohm ist einer der renommiertesten Sommeliers der Welt, eine Legende seiner Branche. Christine Muhlke ist Redakteurin des Feinschmecker-Magazins „Bon Appétit“.

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Charles Pépin entwirft eine Philosophie der Begegnung

Charles Pépin hat sein neues Buch „Kleine Philosophie der Begegnung“ vor allem deshalb geschrieben, um zu zeigen, dass man den Zufall zu seinem Verbündeten machen kann. Er schreibt: „Er entscheidet nicht über unser Schicksal, sondern wir führen ihn vielmehr herbei.“ Man muss nur den Mut haben, sich auf Unvorhergesehenes einzulassen. Das setzt allerdings voraus, dass man sich über den Mechanismus und die Kraft der Begegnung im Klaren sein muss. Dazu befragt Charles Pépin die großen Denker des 20. Jahrhunderts. Und zwar diejenigen, die in der Nachfolge Hegels die Beziehung zum Anderen und die fundamentalen Bindungen, die sich zwischen zwei Wesen knüpfen können, untersucht haben. Sigmund Freud, Martin Buber, Emmanuel Lévinas, Jean-Paul Sartre, Simone Weil und Alain Badiou stehen bei der Skizzierung einer Philosophie der Begegnung Pate. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Filter beeinflussen die Wahrheit

Was eine körperliche Misshandlung ist, so scheint es, weiß doch jeder. Immer wieder erstatten Menschen Strafanzeigen wegen Körperverletzung, weil die Musik zu laut oder der Nachbarsgrill zu stinkend war. In solchen Fällen fallen die Antworten schon weniger sicher aus. Und warum das Überfliegen eines Wohngebiets zum Start von Großraumflugzeugen keine tatbestandliche „Misshandlung“ ist, weiß man erst recht nicht. Thomas Fischer stellt fest: „Es sind also bereits die strafrechtlichen Tatbestände, die einen ersten Filter vor die Feststellung von Wahrheit setzen.“ Ein entscheidender Filter der Wahrheit ist dann das Strafverfahren, und zwar durch seine formelle Struktur selbst. Eine Strafanzeige oder eine Verfahrenseröffnung durch die Staatsanwaltschaft führt in der Praxis dazu, dass ein „Sachverhalt aufgeklärt“ wird. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Die Demokratie lebt von der Kritik

Ausgewogene Kritik und Kritikfähigkeit sind wesentliche Werte und Voraussetzungen des zivilen Staates der Demokratie. Silvio Vietta ergänzt: „Sie sind auch notwendige Voraussetzungen zur Selbst-Bildung einer guten Individualität.“ Eine selbstkritische Einstellung ist nötig, um die richtige Schule und Berufsausbildung für sich auszuwählen. Sie hilft später dabei, den richten Beruf und vor allem auch den richtigen Partner fürs Leben zu finden. Ein gutes Zusammenleben zwischen Menschen setzt Kritikfähigkeit voraus, den richtigen Blick für die Schwächen und Stärken des Partners – wie auch die eigenen Schwächen und Stärken. Kritikfähigkeit beinhaltet auch die Fähigkeit, berechtigte Kritik auszuhalten. Im Allgmeinen ist das eine Leistung einer stabilen Persönlichkeit. Kritik und Kritikfähigkeit setzen also die Bildung zu einer eigenen Urteilsfähigkeit voraus. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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2003 waren 4,8 Millionen Menschen arbeitslos

Edgar Wolfrum stellt fest: „Am Vorabend der Agenda 2010 war die Wirklichkeit alarmierend.“ Im November 2002 musste man die Beitragssätze der Gesetzlichen Rentenversicherung von 19,1 Prozent auf 19,4 Prozent erhöhen. Und in das neue Jahr 2003 ging Deutschland mit erheblichen Hypotheken. Die Zahl der Arbeitslosen erreichte zum Jahreswechsel einen neuen Rekord von 4,8 Millionen Menschen. Gleichzeitig war das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2002 nur um 0,2 Prozent gestiegen. Und das Haushaltsdefizit lag mit 3,6 Prozent deutlich über den im EU-Stabilitätspakt erlaubten 3 Prozent. Die Kassen der Sozialversicherungen waren gähnend leer. Überall leuchteten die Alarmlampen auf Rot. Zum Teil erklärten sich die wirtschaftlichen Probleme aus der schlechten konjunkturellen Lage. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

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Bürgerbewegungen verändern die Gesellschaft

In den sechziger Jahren entstanden in den westlichen liberalen Demokratien eine Reihe machtvoller neuer Gesellschaftsbewegungen. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA verlangte, das Versprechen auf Rassengleichheit zu erfüllen. Denn dies war in der Unabhängigkeitserklärung und in der Verfassung seit dem Bürgerkrieg verankert. Francis Fukuyama ergänzt: „Bald darauf schloss sich die Frauenbewegung an, die ebenfalls Gleichbehandlung forderte. Eine Thematik, die durch den starken Zustrom von weiblichen Arbeitskräften sowohl angeregt als auch gestaltet wurde.“ Eine parallel verlaufende soziale Revolution zerschmetterte traditionelle Normen der Sexualität und der Familie. Und die Umweltschutzbewegung veränderte die Ansichten über die Beziehung zur Natur. Weitere Bewegungen folgten, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung, ethnischen Minderheiten, homosexuellen Männern und Frauen und schließlich Transgendern einsetzten. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Platon verficht eine klare Ordnung des Diskurses

Das Theater setzt Gefühle frei und schafft sogar Momente der Empathie mit dem Abscheulichen. Es steuert, kommentiert, kontrolliert diese Gefühle, indem es mit ihnen artistisch jongliert. Jürgen Wertheimer stellt fest: „Wie alle wichtigen Spiele ist auch dieses ein sehr ernstes Spiel, wenngleich kein Spiel auf Leben und Tod. Stattdessen „nur“ eine Simulation – eine Simulation, in der es um Leben und Tod anderer geht.“ Aber genau deshalb konnte man in den Theatern Griechenlands gezielt Grenzen überschreiten. Schon damals nicht ohne den massiven Widerstand derer, die in einem solchen Spiel mit dem Feuer der Phantasie und der Emotionen Gefahren für die gesellschaftliche Ordnung sahen. Kein geringerer als Platon (428 – 348 v. u. Z.) war ein Verfechter einer klaren Ordnung des Diskurses. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Willy Brandts Ostpolitik war demutsvoll

Jubel in der SPD. Der Bundestag wählte Willy Brandt am 21. Oktober 1969 zum vierten Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. Seine Ostpolitik hat die Wiedervereinigung zwar nicht gebracht, aber strukturell erleichtert und somit ermöglich. Seine Ostpolitik war im Inhalt und im Stil demutsvoll. Die Bilder seines Kniefalls vor dem Warschauer Ghetto-Mahnmal gingen um die Welt. Sie zeigten, dass dieses wirklich neue Deutschland friedlich ist und keinerlei Gebietsrückgaben von fremden Ländern beansprucht. Michael Wolffsohn erklärt: „Land für Frieden.“ Inzwischen existieren Sowjetunion und Ostblock nicht mehr. Zum politischen Westen gehören weite Teile des einstigen auch deutschen Ostens. Und von einer Einheit des neuen Westens kann noch weniger als damals die Rede sein. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Die Erde schwebt im Raum

Anaximander von Milet, der im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte, gilt als einer der Väter der Naturwissenschaften. Carlo Rovelli fasst einige der wichtigsten Ideen Anaximanders zusammen: „Meteorologische Phänomene haben natürliche Ursachen. Das Wasser des Regens ist das Wasser des Meeres und der Flüsse, das durch die Hitze der Sonnenstrahlen verdunstet ist; es wird vom Wind mitgenommen und fällt schließlich wieder zur Erde.“ Anaximander ging davon aus, dass die Erde ein Körper von endlicher Ausdehnung ist, der im Raum schwebt. Seiner Meinung nach lebten ursprünglich alle Tiere im Meer oder im Wasser, das die Erde in der Vergangenheit bedeckte. Die ersten Tiere waren daher Fische und fischähnliche Lebewesen. Als die Erde im Lauf der Zeit trockener wurde, eroberten sie das Festland und passten sich an das neue Milieu an. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.

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Das rationale Tier ist allgegenwärtig

Ludwig Huber will in seinem Buch „Das rationale Tier“ nicht nur zeigen, was die Forschung heute über den Geist der Tiere weiß und wie sie es herausgefunden hat, sondern auch, wozu das gut ist. Neben der zweckfreien Befriedigung der Neugierde treibt ihn auch ein moralischer Imperativ. Ludwig Huber schreibt: „Um sie zu retten, müssen wir uns kümmern, und kümmern können wir uns nur, wenn wir sie verstehen.“ Dazu stellt er die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Diese verlangen eine entschiedene Revision der irrationalen und ethisch fragwürdigen Einstellungen der Menschen gegenüber Tieren. Intelligenzbestien in der Tierwelt findet man an Land, in der Luft und auch unter Wasser. Ludwig Huber ist Professor und Leiter des interdisziplinären Messerli Forschungsinstituts für Mensch-Tier-Beziehungen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

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Friedrich Nietzsche predigt eine andere Vernunft

Friedrich Nietzsches Zarathustra sagt zu den Ursprüngen der christlichen Metaphysik folgendes: „Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und erfanden das Himmlische und die erlösenden Blutstropfen.“ Diese Stelle nimmt Bezug auf das Neue Testament. Zarathustra fährt fort: „Allzu gut kenne ich diese Gottähnlichen: sie wollen, dass an sie geglaubt werde, und Zweifel Sünde sei.“ Christian Niemeyer stellt die provokanteste These Friedrich Nietzsches vor: „Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt bleibt übrig? Die scheinbare vielleicht? … Aber nein! Mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!“ Zu dieser Aussage aber will ja nicht recht passen, dass Friedrich Nietzsche noch 1882, in gleichsam „optimistischer“ Manier, zur Entdeckung „anderer“ Welten aufgerufen hatte. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

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