Geld verleiht seinen Besitzern magische Kräfte

Schon 500 v. Chr. verlieht Geld seinen Besitzern geradezu magische Kräfte. Nicht nur alle denkbaren Güter konnte man damit kaufen, sondern auch menschliche Beziehungen und Macht. Etwa indem man Gefolgsleute, Söldner und Prostituierte mietete. Fabian Scheidler erläutert: „Mit dem Geld gab es erstmals einen Stoff, der sich in fast alles andere konvertieren ließ.“ Die Geldwirtschaft zerschnitt das komplexe Geflecht menschlicher Beziehungen und ersetzte es durch eine Wettkampfarena. In dieser konkurrierten vereinzelte Individuen miteinander um die Anhäufung von Geld. Das lateinische Wort in-dividuum ist nicht zufällig die Übersetzung des griechischen á-tomos: das Unteilbare. In Wissenschaft und Philosophie herrschte damals die Vorstellung, dass die Welt aus unverbundenen Atomen besteht, die durch einen leeren Raum jagen. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

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Der Tod ist allgegenwärtig

Der Tod ist für Michael Wolffsohn keineswegs ein Tabu in Deutschland. Der anonyme und fremde Tod ist sogar ein Dauerthema in Kultur und Literatur, Natur und Geschichte. Der fremde, anonyme Tod ist allgegenwärtig. Was wäre das Kino und das deutsche Fernsehen ohne Krimis und Tod. Michael Wolffsohn ergänzt: „Tote, im Dutzend billiger und quotenträchtiger. Je mehr Tote, desto besser, weil unterhaltsamer.“ So gesehen wird der Tod wahrlich nicht verdrängt. Es ist aber stets der Tod der anderen. Der andere ist gestorben, nicht ich. Wie schön, wie beruhigend. Selbst beim Tod nahestehender Menschen, so Elias Canetti, fühlt man trotz allem Schmerz eine Art von Erleichterung: „Gottlob ich nicht, noch nicht.“ Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Autoritäre brauchen fremde Feinde

Auch in Europa brauchen Autoritäre fremde Feinde, um ihren Autoritarismus zu rechtfertigen. Immer aus dem Ausland – in Gestalt von „Eurokraten“ und Migranten – brechen die Katastrophen herein. Roger de Weck ergänzt: „Um sie abzuwenden, ist eine Politik der harten Hand das Allheilmittel. Überrollen uns „islamische Invasoren“, drängt sich eine geistig-moralische Wende auf.“ Was in friedlichen Zeiten verboten war, gebietet nunmehr der Existenzkampf. Es ist nun an der Zeit, sich moralischen Bedenken zu entledigen. Das christliche Abendland braucht unbarmherzige Retter. Für den nüchternen Hanseaten Helmut Schmidt war Politik „pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken“. Für die Neue Rechte ist Politik die Freiheit der Macht. Helmut Schmidt verwarf gleichermaßen eine Moral ohne Politik und eine Politik ohne Moral. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Das Christentum lehnte die Gelehrsamkeit ab

In der Spätantike und im Frühmittelalter kam es zu einer Kritik wie auch zum Verlust weltlichen Wissens. Beter Burke stellt fest: „Maßgebliche christliche Autoren lehrten Gelehrsamkeit rundweg ab.“ Einer von ihnen war Tertullian (ca. 155 – ca. 240), der behauptete, seit Jesus Christus bedürfen wir des Forschens nicht mehr. Ein weiterer war Augustinus, der die „eitle Wissbegier“ kritisierte. Das Frühmittelalter gilt jedoch heute nicht mehr als die Zeit der „Dunklen Jahrhunderte“. Doch der Verlust von Wissen in den Jahren 500 bis 1000 lässt sich kaum leugnen. Der Niedergang der Städte ging mit dem Verlust der Fähigkeit des Lesens und Schreibens einher. Peter Burke lehrte 16 Jahre an der School of European Studies der University of Sussex. Im Jahr 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte nach Cambridge ans Emmanuel College.

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Es gibt eine kulturelle Klassengesellschaft

In der Spätmoderne existiert wieder eine Klassengesellschaft. Diese gibt es jedoch nicht nur im engen materiellen Sinne. Vielmehr handelt es sich auch und gerade um kulturelle Klassen. Neben den ungleich verteilten materiellen Ressourcen unterscheiden sich die Klassen hinsichtlich ihrer Lebensstile grundsätzlich voneinander. Das gilt auch für ihr kulturelles Kapital. Seit den 1980er Jahren wandelt sich die nivellierte Mittelstandsgesellschaft zur kulturellen Klassengesellschaft. Andreas Reckwitz ergänzt: „Tatsächlich war es die heute vergangene industrielle Moderne, die sich in Richtung einer weitgehend klassenlosen Gesellschaft entwickelte.“ Dies galt nicht nur für ihre realsozialistische, sondern auch für ihre westliche Version. Deren sozialstrukturellen Ausformung hat Helmut Schelsky treffend als „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ auf den Punkt gebracht. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Veränderung ist keine Illusion

Die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist keine Illusion. Carlo Rovelli erklärt: „Sie ist die Zeitstruktur der Welt, auch wenn sie nicht die des Präsentismus ist. Die zeitlichen Beziehungen zwischen Ereignissen sind komplexer, als wir einst dachten, aber deswegen keineswegs trügerisch.“ Die Beziehungen der Abstammung bilden keine globale Ordnung, sind aber deswegen nicht illusorisch. Die Veränderung, das Geschehen, ist keine Illusion. Die Physik hat nur entdeckt, dass sie sich nicht nach einer allumfassenden globalen Ordnung vollzieht. Was ist „real“? Was „existiert“? Die Antwort von Carlo Rovelli lautet: „Die Frage ist falsch gestellt, weil sie alles und nichts besagt.“ Denn das Adjektiv „real“ hat tausend Bedeutungen. Und ihrer noch mehr hat das Wort „existieren“. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Zwänge schränken Freiheiten ein

Viele kommunitaristische Denker neigen zu folgender Ansicht: Eine dominierende gemeinschaftliche Identität sei lediglich eine Sache der Selbsterkenntnis, nicht aber der Wahl. Für Amartya Sen ist es jedoch schwer zu glauben, dass ein Mensch wirklich keine Wahl hat, zu entscheiden, welche relative Bedeutung er den verschiedenen Gruppen beimisst, denen er angehört. Und dass er seine Identitäten lediglich zu entdecken braucht, so als handle es sich um ein rein natürliches Phänomen. In Wirklichkeit treffen alle Menschen ständig Entscheidungen über die Prioritäten, die sie ihren verschiedenen Zugehörigkeiten und Mitgliedschaften beimessen. Die Freiheit, über die persönlichen Loyalitäten und Gruppen, denen man angehört, selbst zu entscheiden, ist eine besonders wichtige Freiheit. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Der weiße Mann ist toxisch

Im Titel seines neuen Buches „Der gekränkte Mann“ steckt für Tobias Haberl eine tiefe Wahrheit. Denn vieles, was in den modernen Gesellschaften des Westens gerade beschwerlich und bedrohlich ist, lässt sich damit erklären, dass sich die Vorstellung vieler Menschen von Männlichkeit gewandelt hat. Ja man attackiert die Männlichkeit sogar immer öfter und verurteilt sie. In den letzten Jahren standen die mittelalten weißen Männer ganz schön unter Druck. Sie mussten sich anhören wie toxisch sie sind und es sich bei ihnen im Grunde um ein Auslaufmodell handelt. Zudem stellte man sie als Zivilisationsirrtum dar, der für jede Menge Unheil auf der Welt verantwortlich sei. Der Literaturwissenschaftler Tobias Haberl schreibt für das „Süddeutsche Zeitung Magazin“. Sein letztes Buch „Die große Entzauberung – Vom trügerischen Glück des heutigen Menschen“ wurde ein Bestseller.

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Die Einigkeit von Herz und Seele führt zum Glück

„Wenn mein Herz mit mir einig ist und die Seele auf mich hört, so werde ich glücklich sein.“ Das ist der Sinn eines alten ägyptischen Papyros, das vielleicht 2000 v. Chr. entstanden ist. Das „Herz“ war im alten Ägypten sowohl Sitz der Gefühle als auch des Verstandes. Albert Kitzler erklärt: „Man hatte offenbar schon eine Vorstellung davon, dass es neben der rationalen auch eine emotionale Intelligenz gibt.“ Was sich genau hinter dem Ausspruch verbirgt, dürfte jedoch nicht mehr aufzuklären sein. Anscheinend will der Autor sagen, dass das Glück von der Authentizität und Wahrhaftigkeit der Person abhängt. Das heißt, von der Übereinstimmung seines Denkens, Wollens, Handelns und Fühlens, von der Kohärenz und Stimmigkeit der gesamten Lebensführung. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Markus Gabriel weist den Wertepluralismus zurück

Der Wertepluralismus meint, in der Moral gelte: Andere Länder, andere Sitten. Jedes Land werde von einer Kultur geprägt, die einen eigenen Moralkodex habe. Und einige Länder bildeten Gruppen, die miteinander kommunizieren können. Markus Gabriel erläutert: „So stellt man sich dann den Westen im Unterschiede zum Osten oder Europa im Unterschied zu Afrika als Werteordnungen vor.“ Der Irrtum besteht seiner Meinung nach jedoch in der Annahme, es gäbe voneinander abgegrenzte Wertesysteme. Diese Überzeugung führt schnell zur zurückweisenden Annahme der Inkommensurabilität. Also der Vorstellung, es gäbe radikal voneinander verschiedene und nicht mit demselben Maß messbare Moralsysteme. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Flüsse sind phantastische Lebensräume

Wo das Wasser schnell strömte und sauber war, lebten die Bachforellen und ein paar weitere für den Fischfang weniger attraktive Fischarten. In stillen, an Wasserpflanzen, die am Bodengrund wurzeln, reichen Buchten und Altwasser wühlten Schleien und dicken Karpfen den Schlamm auf. In ihm suchen sie Würmer und andere tierische Nahrung. Barben, Nasen oder Äschen sind an mittleren Flussabschnitten häufiger zu angeln. Josef H. Reichholf ergänzt: „Dort, wo der Fluss flach überströmte, feinkiesige Kiesbänke ausgebildet hatte. Flussbarsche durchsuchten am liebsten die waldartig aufgewachsenen Bestände von Unterwasserpflanzen.“ Hechte dagegen lauerten in der Deckung des ins tiefere Wasser vorgedrungenen Röhrichts auf Beute. Solche Erfahrungen machten die Angler, lange bevor man eine fischereifachliche Einteilung der Fließgewässer nach sogenannten Fischregionen vornahm. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

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Gott durchdringt die gesamte Materie

Zenon der Gründer der Stoa, war im Jahr 312 von Zypern nach Athen gekommen. Er und seine Anhänger wurden als Stoiker bekannt. Dies geschah aufgrund der Angewohnheit Zenons, seinen Unterricht in einer bemalten Stoa, einem Säulengang, abzuhalten. Tom Holland erklärt: „Wie bereits Aristoteles beschäftigten sie sich mit der Spannung zwischen einer himmlischen, von mathematischen Gesetzen bestimmten Ordnung und einem sublunaren Reich, das von Zufall beherrscht war.“ Ihre Lösung war ebenso radikal wie elegant. Die leugneten, dass eine solche Spannung überhaupt existierte. Die Stoiker argumentierten, dass die Natur selbst göttlich war. Gott belebte das gesamte Universum, und er war aktive Vernunft: der „Logos“. Er ist vermischt mit der Materie. Der Autor und Journalist Tom Holland studierte in Cambridge und Oxford Geschichte und Literaturwissenschaft.

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Es gibt keine ewigen unveränderlichen Werte

Das Ringen um gemeinsame Werte und verbindliche Regelungen ist in sozialen und politischen Gemeinschaften oftmals sehr schwierig. Dennoch bleibt dieser mühsame Prozess unvermeidbar. Auch die Berufung auf die Vernunft oder auf unveränderliche ewige Werte kann diese Auseinandersetzung nicht überflüssig machen. Denn es gab ja zu keinem historischen Zeitpunkt einen weltweiten Konsens über die angeblich ewigen Werte. Axel Braig ergänzt: „Zudem erscheint die von Immanuel Kant beschworene Vernunft als so lebensfern und abstrakt.“ Deshalb hat Friedrich Nietzsche ihr seine „große Vernunft des Leibes“ entgegengestellt. Es erscheint nicht ratsam, sich allein auf diese leibliche Vernunft zu verlassen. Dennoch lässt es sich nicht leugnen, dass sinnliche Erfahrungen und konkrete Ereignisse bei vielen Menschen starke Gefühle auslösen. Axel Braig wandte sich nach Jahren als Orchestermusiker und Allgemeinarzt erst spät noch einem Philosophiestudium zu.

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Das Absolute ist relativ

Wozu dient Strafrecht? Sogenannte absolute Theorien beantworteten das früher mit Verweisen auf überhistorische, natürliche und religiöse Prinzipien. Dazu zählten Vergeltung, Ausgleich von Schuld und anderes. Thomas Fischer stellt fest: „Solche Theorien halten der Überprüfung nicht stand, weil sie sich auf einer rein begriffsfixierten Ebene bewegen. Sie nehmen die Worte und Begriffe für die Wirklichkeit.“ Denn was zum Beispiel Schuld und was Ausgleich ist, ist ja gerade die Frage. Und diese ist nicht absolut zu beantworten, sondern nur nach Maßgabe der jeweils historisch geltenden Rationalität. Das „Absolute“ in der menschlichen Zivilisation ist, wie die Geschichte lehrt, in jeder Hinsicht relativ. Die Gerechtigkeit durch das Strafrecht muss man daher anders definieren. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Alle Kulturen besitzen ihre Gründungsmythen

Alle Kulturen beziehen sich sowohl in ihrer Entstehungsphase als auch in ihrer Weiterentwicklung auf ihre Gründungsmythen. Beginnt die Erinnerung oder die Bindung daran zu verblassen, verliert der große Organismus einer Kultur langsam an Energie und Charakter. Oswald Spengler ist der Autor des kulturphilosophischen Werks „Der Untergang des Abendlandes“. Er bezeichnete den Prozess, in dem die lebendigen Geister eines Volkes erlöschen, als den Übergang von der Kultur zur Zivilisation. Erstere verkörpert ein vielversprechendes und kreatives Anfangsstadium. Letztere hingegen Endstadium und Verfall der gesamten Kultur. Isabella Guanzini weiß: „Um eine Kultur am Lebne zu erhalten, bedarf es immer wieder des Rückgriffs auf die eigenen Gründungsmythen.“ Denn jede Renaissance ist stets auch Erinnerung an die eigenen Ursprünge. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

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Meistens funktioniert der Wettbewerb nicht richtig

Verfechter der freien Marktwirtschaft argumentieren oft, die Aufteilung des nationalen Einkommenskuchens hänge vom Wirken unpersönlicher Marktkräfte ab. Das ist für Joseph Stiglitz vergleichbar mit den physikalischen Kräften, die das Körpergewicht eines Menschen festlegen. Niemand möchte das Gravitationsgesetz widerrufen. Manchmal zeigt die Waage an, dass man zu viele Pfunde drauf hat. Dafür kann man nicht die Schwerkraft verantwortlich machen, sondern muss sich um seine Essgewohnheiten kümmern. Joseph Stiglitz stellt fest: „Aber die wirtschaftswissenschaftlichen Gesetze unterscheiden sich von den Gesetzen der Physik. Märkte gestaltet man durch die staatliche Rechtsordnung, und auf den meisten funktioniert der Wettbewerb nicht richtig. Die Rechtsordnung legt insbesondere fest, wer wie viel Marktstärke besitzt.“ Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Sommerdiäten und Dating-Geschichten

Wenn die ersten Sonnenstrahlen vom Himmel lachen, dann wünschen sich die meisten Menschen ein erotisches Date mit einem ebensolchen Partner. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die eigene körperliche Verfassung. Es ist gleichzeitig eine hohe Motivation, eine Diät zu beginnen, um in Superform zu kommen. Viele Menschen möchten zu diesem Zweck den Winterspeck losbekommen und starten mit … Weiterlesen

Das narrative Denken ist ein großartiges Medium

Fritz Breithaupt klärt in seinem neuen Buch „Das narrative Gehirn“ darüber auf, warum Menschen so viel Zeit mit Narrationen verbringen. Eine seiner Thesen lautet: „In den Narrationen erleben wir die Erlebnisse von anderen mit und teilen ihre Erfahrungen. Das ist möglich, weil wir uns in Narrationen ja an die Stelle von anderen versetzen können und dann tatsächlich „ihre“ Erfahrungen selbst machen.“ Man kann auch narrative und mentale Erfahrungen machen und zugleich die Handlungen nicht ausführen. Somit verdoppelt man sein Leben. Man kann auch bereits Getanes ein zweites Mal miterleben oder sich eine geplante Handlung vor Augen führen. Dies fängt bei minimalen Reaktionen an und endet bei den großen Lebensentscheidungen. Insofern ist narratives Denken ein großartiges Medium des Erlebens und Planens. Fritz Breithaupt ist Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik an der Indiana University in Bloomington.

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Die Metamorphose ist die Bestimmung des Menschen

Einmal geboren, haben die Menschen keine Wahl mehr. Emanuele Coccia erklärt: „Die Geburt lässt uns die Metamorphose zur Bestimmung werden. Wir sind nur auf der Welt, weil wir geboren wurden.“ Das Gegenteil trifft aber genauso zu. Geboren zu sein, bedeutet ein Stück dieser Welt zu sein. Gewiss, allerdings eines, dessen Gestalt die Menschen verändern mussten. Die Menschen sind eine Metamorphose dieses Planeten. Und einzig durch Metamorphose haben sie Zugang zu sich selbst und zu allen übrigen Körpern erhalten. Sie haben das Stück Materie, das sie beherbergt, verändert, um auf die Welt zu kommen. Sie haben sich dem Körper und Leben ihrer Eltern anverwandt und deren Lauf verändert. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Der Tod ist nicht tragisch

Gibt es tragische Phänomene? Das hängt davon ab, was man als tragisch bezeichnet. Ágnes Heller stellt fest: „Der Tod ist nicht tragisch, denn wenn er es wäre, wären wir alle tragische Helden.“ Sokrates ist kein tragischer Held, Christus wurde nie als tragisch angesehen. Leiden ist nicht tragisch. Man spricht heute von einem tragischen Tod, wenn ein junger Mann bei einem Autounfall getötet wird oder Selbstmord begeht. Man empfindet Mitgefühl für einen gefallenen Soldaten oder einen verratenen Liebhaber, ohne ihr Schicksal als tragisch zu bezeichnen. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Der dialektische Dreischritt ist ein Gerücht

Der berühmte dialektische Dreischritt ist für Patrick Eiden-Offe nur ein Gerücht. Denn die ewige Leier von These, Antithese und Synthese hilft nicht wirklich weiter. Das wird schon dadurch deutlich, dass die drei Begriffe in der „Logik“ von Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der erwarteten Kombination gar nicht vorkommen. Die Begriffe tauchen zwar vereinzelt auf. Aber dies durchgängig nur im Kontext einer Beschäftigung mit Immanuel Kant. Patrick Eiden-Offe stellt fest: „Hegel entleiht die Begriffe Kants. Er macht sie sich aber nie zu eigen.“ Dennoch bleibt in der „Logik“ eine gewisse Ordnung erhalten. An die Stelle des leeren Schematismus, der sich über die dialektische Methode gelegt hat, tritt nicht unversehens ein Chaos oder freies Fluten. Patrick Eiden-Offe ist Literatur- und Kulturwissenschaftler.

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Die Welt rückt enger zusammen

In den freiheitlichen Demokratien konnten die Menschen in der Corona-Krise den Eindruck gewinnen, zu viele widerstreitende Instanzen mit zu unterschiedlichen Interessen behindern einander gegenseitig. Hans-Jürgen Papier stellt fest: „Lange Zeit schien das Vorgehen der europäischen Staaten unkoordiniert und schlecht abgestimmt. Auch das bundesrepublikanische föderale System erweckte häufig den Eindruck, als sei es hauptsächlich damit beschäftigt, einen Flickenteppich aus unübersichtlichen Regelungen und jede Menge Streit und Unsicherheiten zu produzieren.“ Wie die Pandemie haben auch Klimawandel, Digitalisierung oder internationaler Terrorismus mit Prozessen zu tun, die man häufig unter dem Stichwort der Globalisierung zusammenfasst. Die Welt rückt in vieler Hinsicht enger zusammen. Die Dinge werden komplizierter, und Einflusssphären überlagern sich. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

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Die Ideale der Logik sind Konsistenz und Kohärenz

Die klassischen Ideale der Logik sind die Konsistenz und die Kohärenz. Ein Gedankensystem bzw. eine Theorie, ist konsistent, wenn in ihm weder ein expliziter Widerspruch vorkommt noch aus ihm ableitbar ist. Es ist außerdem kohärent, wenn die Teile sinnvoll zusammenhängen. Markus Gabriel ergänzt: „Beide Ideale werden durch die Entwicklungen der modernen Logik eingeschränkt beziehungsweise modifiziert.“ Seit dem 19. Jahrhundert ist die Einsicht bekannt, dass es kein Gesamtsystem aller Gedanken geben kann, das insgesamt konsistent und kohärent ist. Jedes Gedankensystem muss einige Gedanken ausschließen, um Stabilität herzustellen. Populär wurde dieser schon lange bekannte Umstand durch die Errungenschaften des Mathematikers Kurt Friedrich Gödel (1906 – 1978). Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Es gibt ein spezifisches Reich des Sinnlichen

Es gibt einen Ort, an dem Bilder entstehen, einen Ort, der weder mit Materie, in der die Dinge Gestalt annehmen, noch mit der Seele der Lebewesen und ihrem Seelenleben zu verwechseln ist. Das spezifische Reich der Bilder, der Ort des Sinnlichen, ist weder mit dem Raum der Gegenstände noch mit dem geistigen Paradies identisch, in dem sich alle erkennenden Subjekte versammeln. Dieser dritte Raum lässt sich weder aus dem Erkenntnisvermögen noch aus einer besonderen, spezifischen Natur heraus bestimmen. Ein Medium lässt sich weder durch seine Natur noch über seine Materie bestimmen. Sondern nur über ein spezifisches Vermögen, das weder auf das eine noch auf das andere reduziert werden kann. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Michael J. Sandel kennt die meritokratische Ethik

In diesen Tagen sehen viele Menschen Erfolg in einer Weise, wie die Puritaner Erlösung betrachteten. Nämlich nicht als etwas, das von Glück oder Gnade abhängig ist, sondern als etwas, das man sich durch eigene Anstrengung und Mühe verdient. Michael J. Sandel weiß: „Das ist der Kern der meritokratischen Ethik. Sie rühmt die Freiheit – die Fähigkeit, mein Schicksal vermöge harter Arbeit zu steuern – und die Verdienste.“ Wenn man selbst dafür verantwortlich ist, dass man sich einen hübschen Anteil weltlicher Güter angehäuft hat, dann muss man sich das verdient haben. Erfolg ist ein Zeichen der Tugend. Der Wohlstand steht einem zu. Diese Denkungsart gibt denjenigen Kraft, die an Meritokratie glauben. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph, der seit 1980 in Harvard lehrt. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.

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