Tatbestand kann unterschiedliche Bedeutungen haben

Das Wort „Tatbestand“ erscheint den meisten Nichtjuristen als Inbegriff eines juristischen Begriffs. Es wird nicht selten mit der angeblichen Lebensfremdheit und Umständlichkeit, gern auch mit Spitzfindigkeit von Juristen assoziiert und in eins gesetzt. Thomas Fischer stellt fest: „Der Tatbestand ist der Schrecken all derer, die sich vom Strafrecht vor allem und sofort Gerechtigkeit im ganz persönlichen Fall und für ihr Anliegen erwarten.“ Aber wie meistens ist es so einfach nicht. Denn der Tatbestand als Rettung vor der puren Willkür ist so tief im Bewusstsein der deutschen Kultur verankert, dass selbst die dezidiert pure Willkür ihn noch als Legitimationsfigur missbrauchen muss. „Tatbestand“ kann, sogar in der Rechtssprache, unterschiedliche Bedeutungen haben. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Die Kultur ist eine Form der Natur

Die Geschichte, die Gesellschaft und die Kultur des Menschen steuert wesentliche Einsichten in das bei, was man die Natur des Menschen nennt. Man braucht nur die Evolution des Menschen ins Auge zu fassen, um zu sehen, dass er selbst nur als integraler Teil der Natur zu verstehen ist. Volker Gerhard erläutert: „So setzt die Geschichte der Menschheit die Naturgeschichte des sich entfaltenden Lebens ein einer durchaus spezifischen Weise fort. Mit Blick auf die vergleichsweise rasche Entwicklung des homo faber und des homo sapiens kann man von einer bemerkenswerten Beschleunigung eines Evolutionsvorgangs sprechen.“ Selbst wenn er in biologischer Hinsicht mit Effekten der Verlangsamung verbunden ist. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Marktmacht manifestiert sich im Umgang mit Kunden

Marktmacht manifestiert sich noch in anderer Weise als nur in höheren Preisen und Gewinnen. Zum Beispiel darin, wie Unternehmen ihre Kunden behandeln. Joseph Stiglitz kritisiert: „So zwingen zum Beispiel viele ihre Kunden dazu, im Fall von Streitigkeiten nicht auf das öffentliche Rechtssystem zurückzugreifen.“ Das sollte eigentlich das gute Recht jedes Bürgers in einer demokratischen Gesellschaft sein. Stattdessen schalten die Firmen geheimniskrämerischen Schiedsgerichte ein, die zugunsten der Unternehmen voreingenommen sind. Die meisten Menschen haben schon einmal unabsichtlich durch ihre Unterschrift auf ihre Rechte verzichtet. Beispielsweise wenn sie ein Bankkonto eröffnet, einen Internetanschluss beantragt oder einen Telefonanbieter ausgewählt haben, da diese ihren Kunden praktisch ähnliche Bestimmungen auferlegen. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Die Philosophie ringt mit dem Guten

Die Frage nach der moralischen Verantwortung stellt sich, sobald man darüber nachdenkt, wie man sein Tun an dem ausrichtet, was man für gut hält. Darin stößt man beständig auf Uneinigkeiten und kontroverse Deutungen. Diese wischte man lange Zeit mit dem Hinweis weg, dass sich das Moralische doch von selbst verstehe. Es müsse also nicht eigens zum Thema gemacht werden. Ina Schmidt weiß: „Die Philosophie ringt dennoch und weil es eben nicht evident ist, seit über zweitausend Jahren um Antworten.“ Dabei ist die Philosophie nicht einmal sicher, was dieses Gute nun eigentlich ganz genau ist. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.

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Die Weisheit ist mit der Freiheit verbunden

Frédéric Lenoir bringt oftmals die Weisheit mit der Freiheit in Verbindung. Inwiefern kann die Weisheit einen Menschen freier machen? Frédéric Lenoir denkt dabei nicht an politische Freiheiten – wie beispielsweise Bewegungsfreiheit, Meinungs- oder Redefreiheit –, sondern an innere Freiheit. Frédéric Lenoir weiß: „Man kann zahlreihe politische Rechte haben und doch Sklave seiner Leidenschaften oder seiner Glaubensmaximen und irrigen Ideen sein.“ Das kann man von zahlreichen Weisen lernen. Insbesondere von Baruch de Spinoza, dessen Hauptwerk „Ethik“ einen echten Weg in Richtung Freiheit weist. Baruch de Spinoza glaubte jedoch nicht an die Freiheit der Entscheidung, das heißt an eine natürliche Fähigkeit, eine Entscheidung ganz ohne inneren Zwang zu treffen. Jedoch glaubte er an die Befreiung von der Sklaverei der Leidenschaften. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Die Welt ist voller Ungleichheiten

Ist es unfair, dass einige Menschen reich geboren werden und andere arm? Und falls es unfair ist, sollte man etwas dagegen tun? Thomas Nagel betont: „Die Welt ist voller Ungleichheiten – innerhalb eines Landes und im Verhältnis der Länder untereinander.“ Einige Kinder wachsen in einem komfortablen und wohlhabenden Zuhause auf. Sie bekommen eine gute Ernährung und eine ausgezeichnete Ausbildung. Andere Kinder leben in Armut, haben nicht genug zu essen. Und sie haben zu keinem Zeitpunkt Zugang zu einer nennenswerten Ausbildung oder medizinischen Versorgung. Dies ist offenbar Glückssache. Menschen sind für die soziale und ökonomische Klasse sowie für das Land, in dass sie hineingeboren werden, nicht verantwortlich. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel lehrt derzeit unter anderem an der University of California, Berkeley und an der Princeton University.

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Viele Sorgen sind ohne jegliche Substanz

Als Priester des Zenbuddhismus wird Shunmyo Masuno von vielen Menschen wegen ihrer Probleme konsultiert. In seinem neuen Buch „Don´t Worry“ stellt er die These auf, dass 90 Prozent der Befürchtungen der Menschen niemals eintreten. Wenn er sich die Ängste, Sorgen und Zweifel seiner Klienten genau anhört, stellt er folgendes fest: „Bei fast allen handelt es sich in Wirklichkeit um Trugbilder, Annahmen, falsche Eindrücke oder eingebildete Ängste. Man könnte sogar sagen, dass sie ohne jegliche Substanz sind.“ Betrachtet man die Dinge, die einen verwirren und den Geist niederdrücken objektiv, so stellt man fest, dass man sich oft erlaubt, Phantome zu fürchten, die gar nicht da sind. Die Zen-Lehren sind eine Fundgrube solcher Einsichten. Shunmyo Masuno ist ein japanischer Zen-Mönch, preisgekrönter Zen-Garten-Designer sowie Professor für Umweltdesign an der Tama Art University in Tokyo.

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Florenz entwickelte sich ökonomisch erst spät

Ökonomisch und politisch war die Kommune Florenz im Vergleich mit Trendsettern wie Pisa oder Siena eine Spätentwicklerin. Volker Reinhardt erklärt: „In Sachen Großhandel, Textilproduktion, Bankwesen und Territoriumsbildung schloss Florenz erst während der Bauzeit von Santa Maria Novella zu Pisa, der großen Rivalin im Westen, auf.“ Danach zog es uneinholbar an ihr vorbei. Vorher kam es zu einem blutigen Streit zwischen dem älteren Florentiner Stadtadel und den großen Unternehmern, die den aristokratischen Vorgängern am Ende des 13. Jahrhunderts die Macht abrangen. Allerdings florierte der Handel mit Luxustextilien ab den 1330er Jahren nicht mehr wie vorher. Zum einen verlangten jetzt immer mehr Mächtige auf dem weiten Weg der Wolle von England nach Flandern und Italien ihren Anteil am Gewinn. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.

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Es gibt keine Zeitvariable

Die Gleichungen der Schleifen-Quantengravitation, an denen Carlo Rovelli arbeitet, sind eine moderne Version von John Wheelers (1911 – 2008) und DeWitts (1923 -2004) Theorie. In ihnen gibt es keine Zeitvariable. Die Variablen der Theorie beschreiben die Felder, welche die gewöhnliche Materie bilden, die Photonen, Elektronen, andere Bestandteile der Atome und das Gravitationsfeld, alle auf gleicher Ebene. Carlo Rovelli erläutert: „Die Loop-Theorie ist keineswegs eine „vereinheitlichte“ Theorie. Sie erhebt mitnichten den Anspruch, die endgültige Theorie der Wissenschaft zu sein.“ Sie besteht aus kohärenten, aber verschiedenartigen Teilen und will „nur“ eine kohärente Beschreibung der Welt liefern, so wie man sie bisher verstanden hat. Die Felder manifestieren sich in granularer Form: Elementarteilchen, Photonen und Gravitations- oder „Raumquanten“. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Das Geschlecht erheischt öffentliche Anerkennung

Ein schlimmes Unrecht, das man im „Gender Trouble“ zufügen kann, besteht in der Verkennung des wahren, selbstbestimmt festgelegten Geschlechts. Alexander Somek erklärt: „Egal, ob das Geschlecht als freiwillig festgelegt oder als umsichtig entdeckt gilt, es erheischt öffentliche Anerkennung.“ Vor dem Hintergrund dieses Liberalismus gilt jegliches sture Festhalten in der binären Unterscheidung der Geschlechter als ein Affront gegen die freie Selbstbestimmung der Person und damit als ein Unrecht. Aus der Sicht der zeitgenössischen Soziologie, die unsere Gesellschaft als solche von Singularitäten versteht, ist diese Entwicklung nicht weiter überraschend. Sie ist konsistent mit der Vermengung bürgerlicher und romantischer Motive in der Kultur der „Spätmoderne“. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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Symbolisches Denken führt zu Kunstwerken

Jeder schöpferische Akt ist eine Auflehnung gegen die Wirklichkeit, die den Menschen vertraut ist. Stefan Klein erläutert: „Wer die Welt verändern will, muss imstande sein zu sehen, was nicht ist, aber sein könnte. Als unsere Vorfahren vor drei Millionen Jahren die ersten Werkzeuge herstellten, hatten sie verstanden, dass Dinge nicht zwangsläufig die Gestalt haben, in der sie uns begegnen.“ Ein Feuersteinbrocken vermag in geschickten Händen die Form eines Faustkeils anzunehmen. Doch das geschieht nur, wenn der Verwandlung eine Vorstellung des künftigen Zustandes vorausgeht. Nur mit ihrer Vorstellungskraft konnten Menschen später symbolisches Denken entwickeln und die ersten Kunstwerke schaffen. Sie sprachen Kerbhölzern, Muscheln und verzierten Steinen Bedeutungen zu. Stefan Klein zählt zu den erfolgreichsten Wissenschaftsautoren der deutschen Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg.

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Helmut Walser Smith blickt auf den Bauernkrieg zurück

Der Bauernkrieg, der größte Aufstand in der europäischen Geschichte vor der Französischen Revolution, begann mit Revolten der Landbevölkerung im Südschwarzwald und im Bodenseeraum. Er breitete sich bis ins Allgäu und an den Oberrhein aus. Helmut Walser Smith weiß: „Schon bald nahm dieser Krieg sowohl religiösen als auch politischen Charakter an.“ Mit der Ausweitung der Aufstandsbewegung auf die Pfalz und Thüringen sowie Richtung Süden bis nach Tirol fand sie immer mehr Unterstützung, vor allem bei den Armen in den Städten. Anfang April 1525 waren nach Schätzungen heutiger Historiker nicht weniger als 300.000 Menschen bereit, gegen ihre Unterdrücker zu den Waffen zu greifen. Doch die Bauern waren den gut bewaffneten, kampferprobten Soldaten nicht gewachsen. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Norbert Wiener prägte den Ausdruck Kybernetik

Die Ursprünge der heute weitreichenden Erklärungsansprüche, die im Zusammenhang mit dem Informationszeitalter stehen, liegen in der sogenannten Kybernetik. Sie wurde als interdisziplinäres Forschungsgebiet auf einer Reihe von Konferenzen etabliert, die von 1946 bis 1953 in den USA stattfanden. Markus Gabriel fügt hinzu: „Federführend war der Neurophysiologe Warren McCulloch (1898 – 1969). Zu diesem Umfeld gehörten viele bekannte Wissenschaftler, insbesondere der Mathematiker Norbert Wiener (1894 – 1964), der den Ausdruck „Kybernetik“ maßgeblich prägte.“ Dazu gehörte auch der Mathematiker und Logiker John von Neumann (1903 – 1957), der neben Alan Turing (1912 – 1954) als der bedeutendste Begründer der Informatik gilt. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Welt und ihre Dinge sind Erscheinungen

Die Welt ist nicht wesentlich phänomenologisch. Die Dinge sind nicht das Sinnliche. Sie müssen erst sichtbar, hörbar, tastbar werden, und das tun sie nur immer außerhalb von sich selbst. Die Welt und ihre Dinge entstehen und sind Erscheinungen. Dies geschieht immer nur anderswo als am Ort ihrer Existenz und in einer anderen Materie als jener, der sie ihre Existenz verdanken. Dieser Ort, an dem die Realität erkennbar und phänomenal wird, ist der nichtdingliche, aber auch nicht notwendige psychologische Raum. Emanuele Coccia erklärt: „Nur in den Medien und dank der Medien wird die Welt zum Phänomen. Wenn das wahr ist, sollte das Projekt der Phänomenologie, das die Philosophie so lange beschäftigt hat, sofort abgebrochen werden.“ Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Es gibt drei große gesellschaftliche Umbrüche

Der französische Denker Jean Baudrillard gilt als einer der Hauptverfechter der Postmoderne. Dennoch war es ausgerechnet er, der die Mythologie des Sozialkonstruktivismus angegriffen hat. Jean Baudrillard behauptet in einem Buch „Simulacres et simulation“, dass es drei große gesellschaftliche Umbrüche gebe, die in der gegenwärtigen Zeit kulminierten. Markus Gabriel kennt sie: „In der Vormoderne seien menschliche Gesellschaften durch Symbole gesteuert worden, die sich ziemlich eindeutig von der Wirklichkeit unterschieden. Eine Götterstatue aus Lehm ist ein Symbol für einen Gott, aber selbst kein Gott, wie das alttestamentarische Bilderverbot einschärft. Die monotheistische Revolution bringt die Vormoderne sozusagen auf den Punkt.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Auch Linkspopulisten untergraben die Demokratie

Rechts- und Linkspopulisten mögen nicht ganz Unrecht haben, wen sie auf ihre Weise von der Sezession bestimmter Eliten sprechen. Sie haben jedoch sicher Unrecht, wenn sie alle Konflikte auf Fragen der Zugehörigkeit reduzieren oder jeden Dissens mit ihnen per se für illegitim halten. Jan-Werner Müller stellt fest: „Wegen dieses Impulses sind echte Linkspopulisten gleichfalls geneigt, demokratische Institutionen zu untergraben.“ Dabei handelt es sich um politische Akteure, die auf der Basis der einen oder anderen linksgerichteten Ideologie einen Alleinanspruch auf die Vertretung des Volkes erheben. Schließlich gibt es keinen Grund, die politischen Grundrechte ihrer Gegner zu schützen. Denn es ist doch klar, dass diese eigentlich gar keinen Platz im demokratischen Spiel verdienen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Intuitionen sind nicht gleichbedeutend mit Wissen

Das neue Philosophie Magazin 02/2023 diskutiert im Titelthema darüber, ob man seiner Intuition folgen oder eher auf die Kraft des Verstandes setzen sollte. Auf jeden Fall ist Vorsicht geboten, den Intuitionen sind nicht gleichbedeutend mit Wissen. Aber es gilt auch, wie Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler in ihrem Editorial feststellt: „Ganz ohne Intuition wären wir heillos verloren. Die Intuition ist es, die uns in Situationen des Nichtwissens ein Kompass ist; die es uns ermöglicht, uns in einer komplexen, unübersichtlichen Welt zu orientieren; die uns befähigt, unseren eigenen, individuellen Weg zu gehen.“ Alltagssprachlich setzt man Intuition oft mit Bauchgefühl gleich. Doch ein Blick in die Philosophiegeschichte zeigt, dass diese Kraft weit mehr ist. Ja, vielleicht sogar etwas ganz anderes. Übersetzt meint dieses Wort lateinischen Ursprungs: unmittelbare Anschauung.

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Eine gerechte Gesellschaft sehnt sich nach Erlösung

Heinz Bude stellt fest: „Für die gerechte Gesellschaft gibt es kein Bild mehr, an dem man sich mit Aristoteles oder Thomas von Aquin orientieren könnte.“ Dabei handelt es sich um eine komplexe Gefügeordnung von Gruppen mit jeweils bestimmten Aufgaben oder eine einsichtige Stufenordnung der Welt. Diese ist auf eine Idee von Erlösung ausgerichtet. Das Befinden über Gerechtigkeit folgt einem Verfahren, für das man ideale Bedingungen einer unparteilichen Beurteilung festlegt. Unter einem moralischen Gesichtspunkt kann man dann genau diejenigen Normen als gültig auszeichnen, die alle wollen könnten. Das könnten beispielsweise Bestimmungen über die Symmetrie von Einkommen sein. Aber auch Regelungen über Determinanten gefährdeter Lebenslagen oder über Ausgleichszahlungen für genau definierte Risikogruppen. Seit dem Jahr 2000 ist Heinz Bude Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

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Jeremy Rifkin hofft auf ein Zeitalter der Resilienz

In seinem neuen Buch „Das Zeitalter der Resilienz“ beschreibt den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen globalen Weg vom Zeitalter des Fortschritts zur Epoche der Resilienz. Die Menschheit erkennt allmählich, dass sie und ihre Mitgeschöpfe auf einen Abgrund zusteuern, von dem es kein Zurück mehr gibt. Die Warnung, dass der von Menschen gemachte Klimawandel das sechste Massensterben auf der Erde verschuldet, ist inzwischen auch im politischen Mainstream angekommen. Das Zeitalter des Fortschritts ist tot und wartet nur noch auf seine Obduktion. Heute geht es immer und überall darum, wie sich die Menschheit am besten an das drohende Chaos „anpassen“ kann. „Resilienz“ oder Widerstandsfähigkeit ist dabei ein Schlagwort, auf das man dabei immer wieder stößt. Jeremy Rifkin ist einer der bekanntesten gesellschaftlichen Vordenker. Er ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends in Washington.

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Johannes Gutenberg revolutioniert die Kommunikation

Mitten in Europa, in Mainz, liegt der Geburtsort des Buchdrucks. Johannes Gutenbergs Erfindung von beweglichen Lettern, ab 1450 angewandt, revolutionierte die Kommunikation. Sie veränderte die Lebenswelt der Menschen und breitete sich über die ganze Welt aus. Edgar Wolfrum stellt fest: „Gutenbergs Buchdruck kann mit Fug und Recht als eine der bedeutendsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte des letzten Jahrtausend bezeichnet werden.“ Mit der rasanten Entwicklung des Internets scheint nun allerdings das Gutenberg-Zeitalter seinem Ende entgegenzugehen. Die neue Art der Informationsverbreitung und Kommunikation beruht auf der von Millionen von Computern. Viele bezeichnen sie bereits als „Turing-Galaxis“. Benannt nach einem der wichtigsten Wegbereiter der Computertechnologie, dem britischen Mathematiker Alan Turing (1912 – 1954). Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

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Jede Art hat eine Funktion im Ökosystem

Die genetische Vielfalt ist der Rohstoff, mit dem die Evolution die Vielfalt des gesamten Lebens baut. Dirk Steffens und Fritz Habekuss warnen: „Wir wissen nicht, wie viele Bauteile wir aus der Maschine des irdischen Lebens entfernen können, bevor sie aufhört zu funktionieren. Wir wissen nicht, wo genau die Kipppunkte liegen, wie viele Arten noch aussterben können, bevor es auch für uns Menschen lebensgefährlich wird.“ Eine Rechtfertigung für die Untätigkeit und Ignoranz der Menschheit ist dieses Nichtwissen keinesfalls. Auch wenn jede Art eine Funktion in ihrem Ökosystem hat, sind manche doch wichtiger als andere. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.

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Im Buddhismus bilden Stoff und Erleben eine Einheit

Was Menschen Materie nennen, ist gar nicht so tot, wie sie glauben. Die Trennlinie zwischen Lebendigem und Unbelebtem reicht nicht in eine absolute Tiefe. Denn das Unbelebte trägt bereits Vorformen, Potenziale und Keimformen lebendigen Erlebens in sich. Der Fehler, der in eine Sackgasse geführt hat, liegt in einem falschen Begriff der Materie. Dieser wurde zu Beginn der neuzeitlichen Wissenschaften gefasst. Fabian Scheidler erklärt: „Die Ursprünge dieser bisweilen als „Panpsychismus“ bezeichneten Position reichen weit in die Geschichte von Philosophie und Wissenschaften zurück.“ Die indische Samkhya-Theorie entstand vor mehr als 2500 Jahren. Dort ist der Urstoff des Universums, „prakriti“ nicht als tot und passiv gedacht. Sondern man fasst es als aktives Prinzip auf, das auch Empfindungs- und Wahrnehmungsvermögen umfasst. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

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Der Mensch ist mehr als sein Schein

Søren Kierkegaard wirft sich im Namen der Leidenschaft in die Arme der Religion. Friedrich Nietzsche wendet sich im Namen des Willens zur Macht gerade von ihr ab. Beide sehen sich aber gezwungen die Vernunft zu relativieren und sie etwas Größerem, Stärkerem und Mächtigerem unterzuordnen. Auch das zeichnet sich für Ger Groot seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bereits ab: „Im Spieltrieb sucht Friedrich Schiller nicht länger nach einer Annäherung an die Wirklichkeit, sondern sieht darin eine Hinwendung zum Schein.“ Der Kunst des noch nicht Wirklichen wird dabei eine höhere Wahrheit zugeschrieben als dem Reellen. Die Rationalität kann nicht länger als Prüfung gelten. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Außerdem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Judith Butler analysiert Gewalt und Nichtgewalt

Argumente für oder gegen Gewaltlosigkeit setzen voraus, dass man möglichst zwischen Gewalt und Nichtgewalt differenziert. Es gibt aber keinen einfachen Weg zu einer stabilen semantischen Unterscheidung. Denn der Unterschied zwischen Gewalt und Nichtgewalt wird oft zur Verschleierung und Erweiterung gewaltsamer Ziele und Praktiken benutzt. Deshalb fordert Judith Butler zu analysieren, wie diese Festlegungen des Gewaltbegriffs funktionieren. Man muss dabei akzeptieren, dass manche Menschen die Begriffe „Gewalt“ und „Gewaltlosigkeit“ unterschiedlich und täuschend verwenden. Dabei sollte man auf keinen Fall der nihilistischen Annahme nachgeben, Gewalt und Gewaltlosigkeit sei eben das, was die Machthaber dafür ausgeben. Zu den Anliegen von Judith Butler gehört es, die Schwierigkeiten anzunehmen und zu einer tragfähigen Definition von Gewalt zu gelangen. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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Den Beruf fürs Leben gibt es nicht mehr

Arbeitnehmer in Deutschland müssen heute und in Zukunft zu Lasten des Familienlebens permanente berufliche Mobilität beweisen. Zudem gibt es immer mehr zeitlich befristete Jobs. Und berufliche Laufbahnen von der Ausbildung bis zum Ruhestand sind für künftige Generationen kaum mehr möglich. Neue Beschäftigungsformen machen den „Beruf fürs Leben“ zur Ausnahme und den Zweitjob neben dem Teilzeitarbeitsplatz bald zur Regel. Horst Opaschowski weiß: „Die meisten Berufstätigen befürchten für die Zukunft neben wachsender Arbeitsplatzunsicherheit mehr Druck und Stress im Arbeitsleben.“ Eine problematische Perspektive für die neue Generation, die mit Gefordert-, Überfordert- und Ausgebranntsein leben muss.“ Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

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