Der Kapitalismus hat häufig einen schlechten Ruf

Unter europäischen Intellektuellen wird der freie Markt gern mit Kapitalismus in Verbindung gebracht. Und beide haben häufig einen schlechten Ruf. Erstaunlicherweise richtet sich die weithin dominante Kritik in der Regel gegen den reinen, bloß freien Markt. Wenn man wie Axel Honneth ihn für eine höchst gefahrenträchtige Veranstaltung hält, manche sogar nichts weniger als eine „Diktatur des Marktes“, neuerdings eine Diktatur des Kapitals befürchten, verkennen sie laut Otfried Höffe die Realität: „In ihr herrscht nämlich eine soziale Marktwirtschaft vor, die durchaus kritikwürdig sein mag, aber einer weit differenzierteren, vermutlich auch argumentativ schwierigeren Kritik bedarf.“ Der berühmte Markttheoretiker Adam Smith geht wie schon Platon vom Wert der Arbeitsteilung und Spezialisierung aus. Denn diesem wohnt ein Potential für Kooperation und Solidarität inne. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Kein Mensch ist nur ein Wirtschaftsbürger

Karl Marx und Friedrich Engels ziehen diesen Wert in Zweifel. Denn in dem von ihnen favorisierten Gesellschaftsideal, in der kommunistischen Gesellschaft, hat ausdrücklich nicht jeder „einen bestimmten, ausschließlichen Kreis der Tätigkeit“. Vielmehr soll es jedem möglich sein, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu betreiben, nach dem Essen zu kritisieren … ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ In einer sachgerechten Einschätzung unterscheiden Karl Marx und Friedrich Engels bei den Zitaten zwei Aspekte.

Einerseits bleibt der Mensch auch in der kommunistischen Gesellschaft ein Wirtschaftsbürger. Dieser dürfte als solcher die ökonomischen und sozialen Vorteile von Arbeitsteilung und Spezialisierung anerkennen. Infolgedessen heißt er eine entwickelte Wirtschaft willkommen und konzentriert sich lieber auf eine Tätigkeit. Auf der anderen Seite wehrt sich ein kluger Menschen gegen das Ansinnen, nur ein Wirtschaftsbürger zu sein. Denn interpretiert man die Tätigkeit der Kritiker wohlwollend, so klingt in ihr der Anspruch auf ein mündiges Staatsbürgersein an.

Der Wettbewerb stachelt zu Kreativität an

Gemäß Adam Smith soll die Arbeitsteilung „die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern. Das gleiche gilt wohl für die Geschicklichkeit, Sachkenntnis und Erfahrung, mit der sie überall eingesetzt oder errichtet wird“. Adam Smith dürfte laut Otfried Höffe nicht nur für die damalige Zeit, sondern generell recht behalten: „Denn vor allem im Verlauf der Neuzeit ist das erwünschte Resultat der freien Marktwirtschaft, die Senkung der Kosten und der Beitrag zu einem bedarfsgerechten Angebot an Waren, Dienstleistungen und deren wirksame Zuteilung, einem Großteil der Menschheit zugutegekommen.“

Otfried Höffe fährt fort: „Der Markt beschert einer breiten Bevölkerung ein zuvor unbekanntes, sogar ungeahntes Maß an Wohlstand.“ Denn der Markt stimuliert jene beiden Grundformen der menschlichen Koexistenz, die auch unter Politikern, Künstlern, Wissenschaftlern und Intellektuellen sowie in nicht geringem Maß unter Philosophen vorherrschen, die Kooperation und die Konkurrenz. Schon die Zusammenarbeit, noch deutlicher der Wettbewerb stacheln zu Kreativität, Wagemut und Anstrengung an. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies