Das Zeitalter des Anthropozäns hat begonnen

Dort, wo die Natur Ressourcen anbietet, wird sie selbst von höchst bescheidenen Gesellschaften vielfältig in Dienst genommen. Zudem beutet man sie oft genug auch aus, wodurch aus der zunächst unberührten Vorgabe die mehr und mehr kultivierte Natur entsteht. Otfried Höffe erklärt: „Schon weit länger als der Atmosphärenchemiker Paul Crutzen 2002 annimmt, leben wir in jenem Erdzeitalter des Anthropozän. In diesem ist der Mensch („Anthropos“) zum stärksten Antreiber ökologischer, selbst geologischer Prozesse geworden.“ Offensichtlich ist die dabei vorgenommene Kultivierung ein Freiheitsprozess in beiden Kernbedeutungen. Als eine allerdings nie endende Überwindung von Gefahren erhöht sie die negative Freiheit. Soweit dabei Erträge gesteigert und Arbeitsvorgänge erleichtert. Überdies schafft man Arbeitsplätze, auch Annehmlichkeiten und Wohlstand geschaffen. So zeichnet sich die Indienstnahme der Natur durch einen emanzipatorischen Charakter aus. Soweit sie aber eine neuartige Lebenswelt schafft, wächst die andere, positive Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Der Kostgänger der Natur ist zugleich ihr Ausbeuter

Diese Beobachtungen treten einer Überschätzung der europäischen Neuzeit entgegen. Denn grundsätzlich betrachtet leistet sie nur dasselbe wie die Steinzeitkulturen und deren Vorgänger. Der Kostgänger der Natur ist immer schon ihr rationaler, sowohl technischer als auch ökonomischer „Ausbeuter“. Charakteristisch für die moderne Zivilisation ist erst, was schon der Prophet der modernen Naturforschung, Francis Bacon, als Programm verkündet: „In der technischen Auseinandersetzung mit der Natur geschieht eine enorme Ausweitung, Steigerung und Verdichtung von Gefahrenbekämpfung, Arbeitserleichterung und Ertragssteigerung.“

Die für die Neuzeit typische Naturnutzung lässt sich exemplarisch am Wald veranschaulichen. Wie die Sprachgeschichte belegt, war er ursprünglich alles andere als der Zufluchtsort für romantische Stadtflucht. Otfried Höffe ergänzt: „Mit dem Ausdruck „Wild“ verwandt, bedeutet „Wald“ anfänglich das nicht kultivierte, überdies keinem Herrn unterworfene Land, die herrenlose Wildnis. Mittlerweile ist aus dem wilden Wald längst der gezähmte Forst geworden. Dieser ist jedoch vielerorts aber auch von der Zerstörung bedroht.“

Viele Kulturen nehmen auf die Natur wenig Rücksicht

Vor allem ist der Wald nicht mehr herrenlos, sondern öffentliche oder privaten Eigentümer bewirtschaften ihn agrotechnisch. In den Bann- und zugleich Schutzwäldern freilich versucht man ihn ein Stück weit, in sogenannte Urwälder und Nationalparks sogar umfassend zu renaturieren. Das ist aber selbst ein Kulturprozess. Otfried Höffe macht darauf aufmerksam, dass der Raubbau an der Natur übrigens sehr viel früher beginnt, etwa im alten Babylon. Und auf die nordamerikanischen Indianer geht das Ausrotten so zahlreicher Großtiere zurück, dass man wegen der entsprechenden geologischen Epoche von einem Pleistozän-Overkill spricht.

Verallgemeinert lässt sich laut Otfried Höffe sagen: „Lebt eine Kultur nicht wie in Altägypten allzu offensichtlich vom „Gedeihen“ der Natur, dort von der periodischen Nilüberschwemmung, so verhält sie sich gegen die Natur ziemlich rücksichtslos.“ Zum Selbstverständnis mancher modernen Denker gehört, dass sie die jeweilige Gegenwart als aller Vergangenheit überlegen ansehen. Andere stellen oft eine apokalyptische Gefahrendiagnose und erklärten: „Nie war die Welt schlimmer als heute.“ Eine kluge Menschheit lässt freilich so viel an nichtkultivierter Natur übrig, dass man sie noch als Gegenbild zu Technik und Sozialzwängen genießen kann. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies