Dass die Freiheit sich selbst gefährden kann, tritt im Wesentlichen erst im Verlauf der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte auf. Innere Spannungen dagegen begleiten die Freiheit von Anfang an. Eine von ihnen wird im paradoxen Zitat eine neuzeitlichen Freiheitstheoretikers bekannt: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“ Otfried Höffe erklärt: „Dieser Einleitungssatz des ersten Kapitels „Vom Gesellschaftsvertrag“ (1762) führt Jean-Jacques Rousseau ins Zentrum des vielfältigen und in mancher Hinsicht irritierenden Freiheitsbegriffs.“ Er stellt nämlich fünf Behauptungen über die Freiheit auf, die durch den nächsten Satz sowie den Kontext um drei weitere Behauptungen ergänzt werden. Sie alle werden sich als plausibel erweisen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Die Freiheit hat eine kosmopolitische Bedeutung
Erstens: Nach der These, der Mensch ist frei geboren, ist die Freiheit keine bloße Vorstellung oder gar Illusion, sondern eine Wirklichkeit. Zweitens: Frei geboren ist der Mensch. Wie Jean-Jacques Rousseau an anderer Stelle sagt: „Der Freiheit entsagen, heißt seiner Eigenschaft als Mensch, den Menschenrechten, selbst seiner Pflicht entsagen.“ Danach ist die Freiheit nicht nur ein Epochenbegriff. Auch wenn sie als Schlüsselprinzip der Moderne gelten darf, hat sie einen größeren anthropologischen Rang. Sie ist ein Konstitutiv für den Menschen.
Ein Blick auf die Ideengeschichte bestätigt dies: Der Begriff der Freiheit hebt den Menschen aus dem Kontinuum der Natur heraus. Als ein Zeichen der humanen Sonderstellung zeichnet er nicht nur den Europäer der Neuzeit, sondern den Menschen als Menschen, also jeden Menschen jedweder Kultur und Epoche, aus. Dieser Umstand kommt dem aktuellen Zeitalter der Globalisierung zugute. Weil die Freiheit nicht das Privileg einer bestimmten Kultur, weil sie also nicht an den Westen gebunden ist, hat sie eine die verschiedenen Kulturen übergreifende, eine interkulturelle, sogar allgemeine, universale, man kann auch sagen kosmopolitische Bedeutung.
Gewisse Ketten bleiben auch beim Erwachsenen stets zurück
Drittens: Laut Jean-Jacques Rousseau hat diese Freiheit das Irritierende an sich, dass man überall das genaue Gegenteil wahrnimmt. Von Natur aus zwar frei, lebt der Mensch jedoch gesellschaftlich und politisch gesehen in zahlreichen vielfach als Zwang erfahrenen Bindungen. Die Ketten können aber nicht nur äußerer, sozialer und politischer, sondern auch innerer, psychischer, selbst neuronaler Natur sein. Viertens: Obwohl dem Menschen angeboren, scheint die Freiheit keine volle Wirklichkeit zu haben, sondern als eine bloße Anlage, als jene Art von Potential wirklich zu sein, der es vielerorts, angeblich sogar überall an Aktualisierung fehle.
Fünftens: Jean-Jacques Rousseau zufolge liegt aber nicht etwa nur der noch werdende Mensch, das Kind, in Ketten, sondern auch der erwachsene Mensch. Insofern scheint man die Aktualisierung nie vollständig zu erreichen, vielmehr bleiben gewisse Ketten stets zurück. Sechstens: Jean-Jacques Rousseau erklärt: „Einer hält sich für den Herr der anderen und bleibt doch mehr Sklave als sie.“ Siebtens: Nach Jean-Jacques Rousseau, Gotthold Ephraim Lessing und Johann Wolfgang von Goethe gibt es beim Sklave sein ein Mehr, womit die Freiheit als ein komparativer Begriff erscheint. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe
Von Hans Klumbies