Der Mensch lebt nicht nur mit einer äußeren, sondern auch mit einer inneren Natur. Unter ihr versteht Otfried Höffe den noch nicht sozial und kulturell geformten, insofern „natürlichen“ Anteil an der Conditio humana. Da aber alle wirklichen Menschen sozial und kulturell geformt sind, ist die Rede von einem natürlichen Menschen eine Abstraktion. Sie hilft aber, die Faktoren zu bestimmen, die individuell der Neugeborene und kollektiv die Menschheit braucht, um dort zu einer eigenverantwortlichen Person, hier zu einer verantwortlichen Gesellschaft zu werden. Der dafür notwendige Prozess der Erziehung, der individuell im Fortschreiten der Biographie und kollektiv in der Menschheitsgeschichte die Selbsterziehung einschließt, ergänzt die externe und interne Kultivierung. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Die Erziehung setzt der Freiheit auch Grenzen
Die externe Kultivierung erfolgt dabei im Rahmen der Handlungsfreiheit, die ein erhebliches Maß an interner Kultivierung voraussetzt. Otfried Höffe erläutert: „Denn ohne eine vorlaufende Erziehung gibt es nur den kleinen subhumanen, instinktförmigen Teil der Herrschaft über die Natur.“ Ohne Zweifel überwindet der Mensch im Zuge der internen Kultivierung manche Barriere der Freiheit. Ohne die interne Kultivierung verfügt der Mensch nicht einmal über ein Potential für Freiheit, noch weniger ist er ein reales Freiheitswesen; er besitzt lediglich Anlagen.
Mittels Erziehung mitsamt der Bildung wird nicht eine im Prinzip schon gegebene Freiheit nur in dieser oder jener Hinsicht erweitert oder gesteigert. Vielmehr betritt man erstmalig eine Welt, Das Reich der Handlungsfreiheit, dass man sich dann, im Verlauf der Erziehung, mehr und mehr erschließt. Die Erziehung setzt der Freiheit allerdings auch Grenzen. Wie vieles beim Menschen kann die einmal entwickelte Freiheit missbraucht werden, weshalb es erneut der Erziehung bedarf, die dann aber keine Erziehung zur Freiheit, sondern eine Erziehung zum richtigen, insbesondere zum rechtschaffenden Gebrauch der Freiheit ist.
Der Mensch vermag fast unbegrenzt vieles zu leisten
Die Pädagogik im Geist der Freiheit setzt sich von einer antiautoritären Erziehung ab, die jeden Zwang vermeiden will. Otfried Höffe nennt den Grund: „Eine Maximierung von Zwangsfreiheit, die den Leitzweck einer vernünftigen Erziehung, die Freiheit in Verantwortung, außer Acht lässt, schadet den Kindern und Jugendlichen.“ Für den Sinn und Zweck der internen Kultivierung, die Entfaltung zu einer selbstständigen Person, die ein verantwortliche, zugleich freies Leben zu führen vermag, bringt der Mensch von Geburt nur zahlreiche Anlagen mit, nicht mehr.
Es sind bloße Möglichkeiten, die es zu realisieren gilt und die man, sobald aus den bloßen Anlagen ein Potential geworden ist, zu aktualisieren hat. Zu Recht gilt der Mensch seit der griechischen Antike als vernunft- und sprachbegabtes Wesen, zugleich als Sozial-, näher hin Rechts- und Politikwesen. Und unter den weiteren Bestimmungen ragt für Otfried Höffe im Blick auf Freiheit und Verantwortlichkeit das Moralwesen heraus. Darüber hinaus ist der Mensch nicht auf eine feste Umwelt festgelegt und vermag fast unbegrenzt vieles zu leisten. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe
Von Hans Klumbies