Ohne Täuschung geht es nicht

Die Täuschung ist als gesellschaftliches Phänomen auch deshalb so erfolgreich und akzeptiert, weil es ohne sie nicht geht. Ille C. Gebeshuber erläutert: „Es gibt Themen, die von unserer Gesellschaft großräumig tabuisiert werden. Gewisse Wahrheiten sind nicht erwünscht und werden nicht gerne behandelt.“ Die damit verbundene Verzerrung der Realität bevölkern dann Ersatzinhalte, die Menschen zu ihrem eigenen Schutz täuschen sollen. So reflektiert die Sucht der Menschen nach Superhelden nur ihre eigene Schwäche. Und der Erfolg jener, die vermeintlich eine Antwort auf alle Probleme haben, erhellt nur die eigene Ratlosigkeit in allen Lebenslagen. Hier nennt Ille C. Gebeshuber als Exempel den Umgang mit dem Tod. Dieser war noch vor einigen Jahrzehnten Teil des Lebens und der Umgang mit dieser Thematik völlig natürlich. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

Die Zivilisation hebt sich von der Unordnung der Natur ab

Inzwischen meiden viele Menschen den Tod und setzen sich nicht wirklich mit ihm auseinander. Das Alter verliert an Wert und man empfindet tote Tiere als so abstoßend, dass man Fleisch nur noch in neutralen Formen und Verpackungen ertragen will. Ille C. Gebeshuber ergänzt: „Selbst Kindern können und wollen wir diese Auseinandersetzung nicht zumuten und reden uns auf die Vermeidung eines Traumas raus. Aber früher oder später kommt immer der Zeitpunkt, an dem sich Lebewesen mit der eigenen Sterblichkeit und der Vergänglichkeit der eigenen, vertrauten Umgebung konfrontieren müssen.“

Und auch hier verschließen sich viele Menschen dem inneren Schrei und starren lieber auf bunte Bildschirme als auf das Leben. Ille C. Gebeshuber fügt hinzu: „Auch außerhalb unserer Geisteswelt bewegen wir uns in einem künstlichen Umfeld.“ Die Städte sind geformt nach den Möglichkeiten der Werkzeuge und nicht nach jenen der Natur. Der rechte Winkel und glatte Oberflächen dominieren. Sie stehen für die subjektive Ordnung der Zivilisation, die sich so von der vermeintlichen Unordnung der Natur abhebt.

Diktaturen benutzen das Prinzip der leisen Schulklasse

Eigentlich sind die Städte für Ille C. Gebeshuber speziell geformte Berge, die versuchen, dem Menschen eine neue, geordnete Umgebung vorzutäuschen. Mit mäßigem Erfolg, denn die Unwirklichkeit der Städte ist den Menschen bewusst geworden. Statt Lebensräume zu bieten, bestehen die Städte heute aus verschlossenen Türen. Sie sind so ganz anders, als die bunten Werbebroschüren die Menschen glauben machen wollen. Man fragt sich natürlich, ob es nicht Menschen gibt, die dies erkennen und ihre Stimme erheben.

In der Vergangenheit taten dies so viele Mutige und man erhörte sie. Aber heutzutage ist das anders. Es ist heute nicht mehr so einfach möglich, sich Gehör zu verschaffen wie zu den Zeiten der schlimmsten Diktaturen, die das Prinzip der leisen Schulklasse benutzen. Ille C. Gebeshuber erklärt: „Dort zwangen strenge Lehrer die Schüler zum Stillsein. Doch in der Stille der Angst wurde die geflüsterte Wahrheit nur noch mächtiger gehört.“ Die Zensur in den modernen Demokratien ist anders. Sie folgt dem Prinzip der lauten Schulklasse. Quelle: „Eine kurze Geschichte der Zukunft“ von Ille C. Gebeshuber

Von Hans Klumbies

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