Erstaunlicherweise fand der sprunghafte Anstieg des Wohlstands, der in den letzten Jahrhunderten zu verzeichnen war, nur in einigen Teilen der Welt statt. Zudem löste er eine zweite große Transformation aus, die für die menschliche Spezies einzigartig ist. Nämlich die Entstehung einer immensen Ungleichheit zwischen den Gesellschaften. Oded Galor erklärt: „Man könnte mutmaßen, dieses Phänomen habe vor allem damit zu tun, dass der Ausbruch aus der Epoche der Stagnation weltweit zu unterschiedlichen Zeiten stattgefunden hat.“ Die westeuropäischen Länder und manche ihrer Ableger in Nordamerika und Ozeanien erlebten die sprunghafte Verbesserung ihrer Lebensbedingungen bereits im 19. Jahrhundert. Dagegen verzögerte sich ein entsprechender Fortschritt in den meisten Regionen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Oded Galor ist israelischer Wirtschaftswissenschaftler und mehrfach ausgezeichneter Professor an der Brown University, USA. Er forscht vor allem zum Thema Wirtschaftswachstum.
Es gibt kulturelle wachstumsfördernde Eigenschaften
Wo kulturelle Normen, politische Institutionen und technologische Neuerungen in Erscheinung traten, hatte das häufig mit tieferen, in grauer Vorzeit verwurzelten Faktoren zu tun. Diese beeinflussten das Wachstums- und Wohlstandspotenzial von Gesellschaften. So begünstigten geografische Umstände, wie etwa ertragreiche Böden und vorteilhafte Klimabedingungen, die Entwicklung wachstumsfördernder kultureller Eigenschaften. Oded Galor zählt dazu Kooperation, Vertrauen, Gleichberechtigung der Geschlechter und zukunftsorientiertes Denken.
War beispielsweise ein Landstrich für große Plantagen geeignet, trug dies dort nicht nur zur Ausbeutung und Sklaverei bei. Sondern es begünstigte auch die Entstehung und Fortdauer extraktiver politischer Institutionen. Krankheitsfördernde Umweltfaktoren wirkten sich negativ auf die Produktivität der Landwirtschaft und der Arbeitskräfte sowie auf die Investitionen in Bildung und den langfristigen Wohlstand aus. Hinter den heutigen institutionellen und kulturellen Ausprägungen lauert jedoch noch ein zusätzlicher Faktor, der gemeinsam mit der Geografie als grundlegender Antrieb der wirtschaftlichen Entwicklung wirkt.
Bildung und Toleranz fördern das gute Gedeihen der Menschheit
Oded Galor meint damit den Grad der Diversität innerhalb der jeweiligen Gesellschaft mit seinen positiven Auswirkungen auf Innovation und seinen negativen Folgen für den sozialen Zusammenhalt. Große Denker wie Platon, Hegel und Marx kamen zu dem Schluss, die Geschichte verlaufe nach unausweichlichen universellen Gesetzmäßigkeiten. Dabei ließen sie jedoch oft die Rolle der Gesellschaften bei der Gestaltung ihres jeweiligen Schicksals außer Acht. Oded Galor weist darauf hin, dass die von einer nachhaltigen Verbesserung des Lebensstandards geprägte Ära der Moderne kaum einem Garten Eden entspricht.
Nach wie vor herrschen auf der Welt große soziale und politische Konflikte. Weiterhin bestehen enorme Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Oded Galor zeichnet in seinem Buch „The Journey of Humanity“ auf interdisziplinäre, wissenschaftlich fundierte weise die Evolution von Gesellschaften seit dem Erscheinen des Homo sapiens nach. Für Oded Galor sind Bildung, Toleranz und eine größere Gleichberechtigung der Geschlechter die Schlüssel zum Gedeihen der menschlichen Spezies in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten. Quelle: „The Journey of Humanity“ von Oded Galor
Von Hans Klumbies