Neugier und Offenheit charakterisieren einen gebildeten Menschen

In einer Wissensgesellschaft, in der das eigene Wissen für Bildung gehalten und absolut gesetzt wird, ist die Unbildung der einzige Weg zur Bildung. Anders Indset erklärt: „Wenn wir Wissen mit Bildung gleichsetzen, kommen wir nicht darum herum, alle in uns den Ungebildeten zu aktivieren. Die Geistes- und Werthaltung des Ungebildeten zeichnet den Gebildeten in der heutigen Wissensgesellschaft aus.“ Das Bedürfnis zu wachsen, der kritische Umgang mit dem Bestehenden und die Neugier und Offenheit für das Andere sind die Attribute, die einen gebildeten Menschen charakterisieren. Doch diese Attribute haben in der Wissensgesellschaft, in der das eigene Wissen absolut gesetzt wird, an Bedeutung verloren. Das Wissen zu fetischisieren, kennzeichnet Theodor W. Adorno, einer der Hauptvertreter der Kritischen Theorie – auch unter Frankfurter Schule bekannt – den sogenannten halbgebildeten Menschen. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

Der halbgebildete Mensch ist starr in seinem Denken und Wissen

Der halbgebildete Mensch hat sich zwar dasselbe Wissen angeeignet, über das auch ein Gebildeter verfügt – der halbgebildete Mensch versteht es aber nicht, Phänomene in ihrer Lebendigkeit zu begreifen. Anders Indset ergänzt: „Stattdessen geht er mechanistisch an diese heran. Der Halbgebildete ist starr in seinem Denken und Wissen. Er versteht es nicht, das Wissen in größere sinnhafte Zusammenhänge einzuordnen.“ Deshalb ist es ein halbverdautes Wissen um seiner selbst willen.

Bildung, die sich selbst setzt und verabsolutiert, ist schon Halbbildung geworden, nämlich Geisteskultur als Selbstzweck. Anders Indset stellt fest: „Bildung wird so zur Attitüde, zum bloßen Aushängeschild gesellschaftlicher Zugehörigkeit in unserer Gefälligkeitsgesellschaft der Selbst-Optimierung.“ Das bloße fetischartige Sammeln von Highlights geistiger Erkenntnisse ersetzt das durchdringende Verständnis aus konkretem, sachlich motiviertem Weltinteresse. Eine derartige Bildung ist starr, sie entbehrt jeglicher Dynamik und Lebendigkeit.

Widersprüche und Gleichzeitigkeiten gestalten die Wirklichkeit

Der halbgebildete Mensch, der sich an seinem eigenen Wissen ergötzt, ist ein Narzisst. Er ist folglich voreingenommen in seinem Blick auf die Welt. Anders Indset fügt hinzu: „Er betrachtet die Welt nur vor dem Hintergrund seines eigenen Wissens. Das wiederum unterscheidet ihn vom Ungebildeten. Dieser schaut auf die Welt mit einem unvoreingenommenen Blick und ist frei von jeglichem Narzissmus.“ Das bloße Nichtwissen gestattet ein solches unmittelbares Verhältnis zur Welt.

Der Nichtwissende lässt sich auf die Welt ein und wird nicht durch seine Denkstrukturen eingeschränkt. Das Verhältnis zur Welt erscheint dem Ungebildeten freier. Er erkennt die Widersprüche und die Gleichzeitigkeiten, die unsere Wirklichkeit gestalten. Anders Indset kritisiert: „Unsere gegenwärtige Zeit ist jedoch zu sehr auf geistige Anpassung ausgerichtet, die Ressentiments schürt.“ Der narzisstische Wissende steht dem Anderen mit Abneigung gegenüber. Dieser Andere stellt ihn bloß mit seinem Nichtwissen, vor dem er sich mit seinem Kapuzensweatshirt mit Uni-Logo schützt. Quelle: „Das infizierte Denken“ von Anders Indset

Von Hans Klumbies