Waldbrände, Pandemien und Erdbeben sind zugegebenermaßen recht katastrophale Ereignisse. Aber auch das Leben selbst scheint auf fundamentale Art und Weise ein kritisches Phänomen zu sein. Dirk Brockmann erläutert: „Erdgeschichtlich sind immer wieder neue Arten entstanden und andere ausgestorben. Charles Darwin hat für diese Evolutionsprozesse die wissenschaftliche Theorie geliefert. Zufällige genetische Mutationen etwa führen zu neuen Varianten, werden selektiert und setzen sich durch, weil sie besser an die Umgebung angepasst sind.“ Charles Darwins Theorie beschreibt den Evolutionsprozess als graduelle, stetige Veränderung in kleinen Schritten, obwohl die paläontologischen Befunde eher darauf hindeuteten, dass neue Arten sprunghaft mit sehr hoher Rate in vergleichsweise kurzen Zeiträumen entstanden sind. So haben vor rund 500 Millionen Jahren – zu Beginn des Kambriums – praktisch alle heute vertretenen Tierstämme in dem geologisch winzigen Zeitraum von für bis zehn Millionen Jahren das Licht der Welt erblickt. Der Komplexitätswissenschaftler Dirk Brockmann ist Professor am Institut für Biologie der Berliner Humboldt-Universität.
Erdgeschichtlich haben einige sehr große Massensterben stattgefunden
Deshalb spricht man auch von der kambrischen Artenexplosion. Die Paläontologen Stephen Jay Gould und Niles Eldredge argumentieren, dass sich in der Evolution stabile Phasen ohne große Veränderungen mit sprunghaften Phasen schneller Veränderung abwechseln. Kleine Änderungen haben dabei die meiste Zeit keinen Effekt, können aber plötzliche Evolutionskaskaden auslösen. Auch Arten sterben nicht graduell mit der Zeit aus, also pro Zeiteinheit in immer etwa gleicher Anzahl, sondern in Schüben.
Dirk Brockman blickt zurück: „Man weiß heute, dass erdgeschichtlich einige sehr große Massensterben stattgefunden haben, zuletzt vor rund 65 Millionen Jahren, als ein Meteorit auf der Erde einschlug und das Ende der Ära der Dinosaurier und eine Welle weiterer Extinktionen auslöste.“ Vor etwa 252 Millionen Jahren aber ereignete sich das größte Massensterben. Mehr als 95 Prozent aller marinen Lebensformen und drei Viertel der an Land lebenden Tiere verschwanden.
Technologischer Fortschritt findet ebenfalls in Schüben statt
Der Effekt auf die Biosphäre war so gigantisch, dass der atmosphärische Sauerstoff um mehr als die Hälfte sank. Dirk Brockmann ergänzt: „Daneben gab es sehr viele kleinere Massensterben. Wertet man die Häufigkeit der Stärke aller Extinktionsereignisse aus, findet man: ein Potenzgesetz.“ Die Mechanismen der Evolution lassen sich auch auf gesellschaftliche Prozesse übertragen. Innovation findet ja nach ganz ähnlichen fundamentalen Regeln statt.
Technologien werden verändert, optimiert und den Anforderungen immer wieder angepasst. Auch hier könnte man denken, dass graduelle Schritte den Prozess voranbringen. Dirk Brockmann betont: „Aber natürlich wissen wir, dass etwa technologischer Fortschritt ebenfalls in Schüben stattfindet und dass kleine Änderungen, wie zum Beispiel die Erfindung des Touchscreens für Handys, Kaskaden von technologischen Neuerungen einerseits und das „Aussterben“ veralteter Technologien andererseits auslösen können.“ Quelle: „Im Wald vor lauter Bäumen“ von Dirk Brockmann
Von Hans Klumbies