Wenn es einen Begriff gibt, der alles Unbehagen am Kapitalismus und an der Marktwirtschaft verkörpert, dann ist es „neoliberal“. Der Neoliberalismus bezeichnet ungefähr dies: Marktradikalismus, Rückzug des Staates, Abbau der sozialen Leistungen und freies, eben liberales, Spiel der Kräfte im Wirtschaftsleben. Natürlich wissen Ökonomen, dass man damit den Begründern der neoliberalen Schule des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts Unrecht tut. Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke waren alles als Marktradikale. Politisch waren sie freiheitlich und so bürgerlich, wie es gerade in Deutschland eher selten ist. Von Wilhelm Röpke gibt es zum Beispiel eine klar geschriebene „Lehre von der Wirtschaft“, ein Grundlagenlehrbuch der Ökonomie. Dort finden sich Argumente, die auf viele heutige Probleme passen und die Klischees über den Neoliberalismus widerlegen.
Wilhelm Röpke glaubt nicht an die Planwirtschaft
Selbstverständlich ist Wilhelm Röpke „anti-kollektivistisch“ eingestellt. Er glaubt nicht an die Planwirtschaft der Bürokraten und Funktionäre. Den „Plan“ machen für ihn die Konsumenten mit ihren Bedürfnissen, auf einem Markt, der in einer „Anarchie ohne Chaos“ lebt, also im freien Wechselspiel des Austauschs in einer unendlich differenzierten Arbeitsteilung. Doch dafür bedarf es rechtlicher und moralische Rahmenbedingungen: einen starken und unparteiischen Staat. Nicht den Staat als Teilnehmer an der Wirtschaft, sondern den Staat als Schiedsrichter.
Wilhelm Röpke erklärt: „Man muss den Kapitalismus vor den Kapitalisten schützen.“ Die Finanzwirtschaft mit ihrer Tendenz, der Allgemeinheit die Übernahme der Risiken aufzubürden – Wilhelm Röpke schreibt ausdrücklich von der „Sozialisierung der Verluste“ – ist ihm schon damals tief suspekt. Gerade als Liberaler plädierte Wilhelm Röpke immer noch für den von modernen Geldtheoretikern seinerzeit belächelten Goldstandard: „Er beschränkt die Willkür politischer Eingriffe mit ihren Fehlsteuerungsgefahren.“
Der übermächtige Staat vertritt selten das Gemeinwohl
Auf die Verhältnisse der Gegenwart übertragen, würde das auf eine strenge Regulierung der Finanzwirtschaft und auf strikte Konsolidierung des Haushalts der Staaten hinauslaufen. Das Problem von Ländern, die zusammen mit ihren zu großen Banken scheitern, würde dann nicht auftreten. Wilhelm Röpke diagnostizierte kühl, dass der übermächtige Staat, der mit seinen Schulden ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen kann, selten das Gemeinwohl vertritt, sondern die Interessen der ihn beherrschenden und ausbeutenden Gruppen.
Die Schuldenkrise, autoritäre Marktwirtschaften, Internet- und Finanzgiganten – die miteinander zusammenhängenden Probleme, auf die der ursprüngliche Neoliberalismus mit seinen Ordnungsideen reagierte, sind heute alle wieder da. Auch das Opfer solcher Bedrohungen: der arbeitende Bürger, der als Konsument mit seinen Interessen, vor allem mit seinen Bedürfnissen nach Freiheit der eigentliche Herr des Wirtschaftsprozesses sein sollte. Ihm vor allem gilt die Sorge des Ökonomen Wilhelm Röpke, der auch ein Denker der politischen Freiheit war. Quelle: Süddeutsche Zeitung
Von Hans Klumbies