Am Anfang der Kulturgeschichte des Neides waren zwei Brüder und ein Mord. Man kennt die Geschichte aus dem Alten Testament. Bettina Schulte erklärt: „Die Söhne von Adam und Eva waren die Brüder Kain und Abel. Beide brachten Jahwe ein Opfer. Doch Gott wies die Opfer von Kain, dem Älteren, dem Ackerbauern, zurück, während ihm die von Abel, dem Schafhirten, wohlgefällig war.“ Kann Gott ungerecht sein? Seit Ratschlüsse sind nicht nur im Buch „Genesis“ unergründlich. Kain fühlt sich jedenfalls zu Unrecht zurückgesetzt, benachteiligt, der Gunst, der Zuwendung des Vaters beraubt. Und sein Hass richtet sich gegen den, der ihm vorgezogen wurde, der über etwas verfügt, das er nicht hat: die Gnade des Herrn. Die Kulturjournalistin Bettina Schulte promovierte über Heinrich von Kleist und war mehr als zwanzig Jahre leitende Redakteurin im Feuilleton der Badischen Zeitung.
Helmut Schoeck hat aus dem Neid ein ganze Gesellschaftstheorie entwickelt
Dass er Abel auf dem Feld erschlägt, ist ein furchtbares Verbrechen, aber für Kain zugleich ein Akt der Selbstbehauptung. Bettina Schulte erläutert: „Der Neider beseitigt die Ursache seines Neides und hat damit das ihn selbst zu vernichten drohende Gefühl gebannt.“ Die Strafe für die Tat, die einen anderen vernichtet hat, folgt unmittelbar. Kain muss der Verfluchung Jahwes folgen und sein von ihm kultiviertes Land verlassen. Bald hört man nichts mehr von ihm.
Bettina Schulte weiß: „An die Stelle von Abel tritt Evas dritter Sohn Set, der zum Stammvater Israels wird. Dass Kain durch schlechte Eigenschaften dazu prädestiniert gewesen sei, der Mörder Abels zu werden, Darüber schweigt sich die Genesis aus.“ Einzig der aufschießende Neid macht ihn zum Täter, ein „Aggressionsgefühl, das sich seiner Impotenz bereits bewusst ist“, wie der Soziologe Helmut Schoeck schreibt, der in den 1960er-Jahren aus dem Neid eine ganze Gesellschaftstheorie entwickelt hat.
Neid scheint nicht zu altern
Und ist seit Kain und Abel irgendetwas besser geworden? Leider nein. Neid scheint nicht zu altern. Ein Hauptmotiv des Neides in der Literatur ist die Geschichte vom verlorenen Sohn, der von einem leicht manipulierbaren Vater verstoßen wir, obwohl eigentlich er der „Gute“ ist. Bettina Schulte ergänzt: „Er wird vertrieben durch den Neid des Jüngeren, der nur dem äußeren Anschein der brave, angepasste, wohlanständige Nachkomme ist, mit diesem Gebaren aber die Gunst des Vaters auf sich lenkt.“
Friedrich Schillers geniales Dramendebüt „Die Räuber“ von 1781 sollte ursprünglich „Der verlorene Sohn“ heißen. Bettina Schulte stellt fest: „Karl Moor, der ältere von zwei Brüdern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, wird Opfer einer Intrige seines rasend neidischen jüngeren Bruders Franz.“ Mit einem infam gefälschten Brief gelingt es ihm, die bisher auf Karl fixierte Liebe seines Vaters von diesem abzuziehen und den Bruder zu enterben – was Karl, den bisher von Zuneigung Verwöhnten, in die Verzweiflung und in die Gesetzlosigkeit treibt. Quelle: „Neid“ von Bettina Schulte
Von Hans Klumbies