Hannah Arendt war der Meinung, Politik sei für alle, nicht für „jeden, der gewisse Voraussetzungen erfüllt“. Zudem hielt sie die menschliche Natur für zu kompliziert und variabel, als dass sie zur stabilen Grundlage der Politik geeignet sei. Ned O’ Gorman ergänzt: „Sie fürchtete, die Theorien über die menschliche Natur könnten dazu führen, dass wir andere zu dem machen wollen, wofür wir die Menschen von vornherein halten.“ Möglicherweise würde man dann versuchen aus den Menschen nichts anderes zu machen als bessere Hunde. Hält man dagegen die Natur des Menschen für gut und nobel, könnte man versuchen, die Menschen zu Heiligen zu machen. Und wenn man die menschliche Natur für besitzergreifend hält, wird man versuchen, alle zu Käufern und Verkäufern zu machen. Ned O’ Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.
Hannah Arendt wendet sich dem Offensichtlichen zu
Hannah Arendt näherte sich der Politik also nicht über die Natur des Menschen, sondern über die menschliche Bedingtheit. Und zwar vorrangig über die Tatsache, dass Menschsein bedeutet, mit anderen Menschen auf der Erde zusammenzuleben. Im Kern von Hannah Arendts Werk steht die Methode, sich dem Offensichtlichen zuzuwenden und ihm Bedeutung zu verleihen. Und dass zu hinterfragen, was man häufig als offensichtlich erachtet.
Doch was machen die Menschen aus der Tatsache ihres Zusammenlebens? Eben dies ist laut Hannah Arendt die entscheidende politische Frage. Ned O’ Gorman erklärt: „Indem Arendt die Frage aufgriff, betonte sie eine zweite Tatsache: Normalerweise teilen alle Menschen auf der Erde grundlegende menschliche Fähigkeiten. Die Fähigkeit zu denken, zu kommunizieren und zu handeln.“ Alle Menschen sind gemeinhin in der Lage, ihren Geist für das Herausbilden von Ideen, Behauptungen, Meinungen und Urteilen zu nutzen.
Jedem Menschen sind bestimmte Dinge wichtig
Der Homo sapiens hat im Allgemeinen die Fähigkeit, mit andern zu kommunizieren, Sprache, Gesten oder Bilder für Aussagen zu benutzen. Er kann Fragen stellen, Gefühle ausdrücken oder sich und andere einfach nur an die eigene Existenz zu erinnern. Ned O’ Gorman erläutert: „Denken, Sprechen und Handeln sind die grundlegenden Instrumente, mit denen wir in der Welt, unseren Gemeinschaften, Kulturen und Zivilisationen navigieren. Eine weitere Tatsache kommt hinzu: Es gibt besondere Objekte, Probleme und Ereignisse, die innerhalb einer vielfältigen Gruppe von Menschen für alle von Bedeutung sind.
Diese Tatsache beginnt mit der Beobachtung, dass jedem Menschen bestimmte Dinge wichtig sind. Nicht alles und jedes, aber doch manches. Ist einem etwas wirklich wichtig, setzt man sich dafür ein. Betrifft es mehr als eine Person, wird die Angelegenheit unausweichlich zum „gemeinsamen“ Thema. Indem man sich um solche Angelegenheiten von gemeinsamer Bedeutung herum organisiert, formt man, wie Hannah Arendt es nannte, eine „gemeinsame Welt“. Quelle: „Politik für alle“ von Ned O’ Gorman
Von Hans Klumbies