Hannah Arendt fordert die Kultivierung der Politik

Hannah Arendt fordert, dass die Menschen an der Praxis und Kultivierung der Politik arbeiten müssen. Denn man kann ihr nicht entgehen, so sehr man es auch versuchen möchte. Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Religion, Rasse oder individuelle Selbstverwirklichung können die Menschen nicht aus den Zwängen der politischen Verfasstheit befreien. Ebenso wenig eröffnen sie den Horizont des ewigen Fortschritts. Ned O’ Gorman stellt fest: „Die Auswirkungen dieser Möchtegernwelt ohne Politik auf das 20. Jahrhundert waren absolut katastrophal.“ Der Anspruch auf eine historische Bestimmung der arischen Rasse brachte den Holocaust hervor. Die Anforderungen der sowjetischen Kollektivierung endeten im Gulag. Der Vorrang der Physik über die Politik führte zur Atombombe. Und die „Eroberung der Märkte“ verursachte Bürgerkriege in Zentral- und Südamerika. Ned O’ Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.

Eine Welt jenseits der Politik führt zur Katastrophe

Hannah Arendt zufolge hatten diese Katastrophen einen Bumerang-Effekt. Jeder von ihnen entsprang dem Bedürfnis nach einer Welt jenseits der Politik. Nämlich in Gestalt gesellschaftlicher Ordnungen auf Basis von rassischer Identität, dialektischem Materialismus, Wissenschaft als Verteidigungsstrategie oder Profitmaximierung. Und jede von ihnen führte zu einer perversen Politisierung des gesamten Lebens, von der individuellen Genetik über Geschichte und Wissenschaft bis hin zu Pullovern und Bananen.

Laut Hannah Arendt begann jede diese Katastrophen nicht etwa mit einer politischen Position. Sondern sie nahmen ihren Anfang in einer starken Konzentration des Politischen auf eine einzig destruktive Dynamik. Ned O’ Gorman erklärt: „Der verzerrten und repressiven Politik konnten nicht einmal jene entgehen, die sie überwinden wollten. Sie konnten sie sich nur zu eigen machen und zugunsten eigener Interessen noch weiter pervertieren.“ Auf der Erde gibt es laut Hannah Arendt „nicht den Menschen, sondern die Menschen“.

Niemand kann der Politik entgehen

Menschen sind plurale Wesen, und die Tatsache der „Pluralität“ erfordert, dass sie ihre Gleichheit und Verschiedenheit in der einen oder anderen Form politisch aushandeln. Die Grundfrage ist so alt wie die politische Philosophie selbst: Wer nimmt an welchem politischen Prozess mit welchem Ziel und mit welchen Mitteln teil? Ned O’ Gorman betont: „Wir können der Politik nicht entgehen. Wir können sie nur verbessern oder verschlimmern, konstruktiver oder destruktiver machen, demokratischer oder oligarchischer gestalten.“

Hannah Arendt plädierte für eine authentische, demokratische Politik. Das wirkt manchmal idealistisch, ist es aber nicht. Piraterie, Tyrannei und Zerstörung sind keine authentischen Ausdrucksformen der politischen Kunst, sondern die Perversion und Ausbeutung derselben. Hannah Arendt scheint das von Augustinus (354 – 430 n. Chr.) gelernt zu haben, mit dem sie sich in ihrer Dissertationsschrift beschäftigte. Augustinus zufolge verzerren Bosheit, Lasterhaftigkeit und Verbrechen das Gute in etwas Schlechtes. Es gab zwar schon viele Diebe in der Regierung, aber das Amt ändern nichts an ihrem Status als Diebe. „Politik für alle“ von Ned O’ Gorman

Von Hans Klumbies