Sokrates begründet die Philosophie mit ihrer Strenge im Diskurs

Das Lebensmotto von Nassim Nicholas Taleb lautet: Mathematiker denken in präzise definierten und abgebildeten Objekten und Beziehungen, Juristen und Rechtsgelehrte denken in Konstrukten, Logiker in hoch abstrakten Operationen und Narren in Wörtern. Zwei Menschen können dasselbe Wort benutzen, damit unterschiedliche Dinge meinen und trotzdem ihre Konversation fortsetzen, was ganz nett ist, wenn man miteinander Kaffee trinkt, aber nicht, wenn es darum geht, Entscheidungen zu fällen, vor allem, wenn es sich dabei um Grundsatzentscheidungen handelt, von denen andere betroffen sind. Aber es ist kein Problem, diesen Missstand zu beheben, wie es ja schon Sokrates getan hat. Man fragt sie einfach, was sie glauben zu meinen mit dem, was sie gesagt haben. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

Das Verbalistische ist der Erzfeind des Wissens

So entstand durch Sokrates die Philosophie mit ihrer Strenge im Diskurs und der Entflechtung verschiedener Vorstellungen, in direkter Opposition zum Engagement der Sophisten für die Rhetorik. Seit Sokrates gibt es eine lange Tradition der mathematischen Wissenschaft und des Vertragsrechts, das von der präzisen Festlegung der Begriffe lebt. Aber andererseits existieren aber auch viele Äußerungen von Narren, die – jenseits der Dichtung – irgendwelche beliebigen Bezeichnungen benutzen. Nassim Nicholas Taleb rät: „Man hüte sich vor dem Verbalistischen, diesem Erzfeind des Wissens.“

Verschiedene Menschen meinen beispielsweise kaum je dasselbe, wenn sie von Religion sprechen, was ihnen noch dazu nicht bewusst ist. Für die frühen Juden und Muslime war Religion gleichbedeutend mit Gesetz. „Din“ bedeutete im Hebräischen Gesetz und im Arabischen Religion. Die frühen Juden verknüpften Religion zudem eng mit der Stammeszugehörigkeit; für die frühen Muslime war Religion universell. Für die Römer bestand Religion aus Ritualen und Festen.

Die verschiedenen Religion unterscheiden sich stark voneinander

Das Wort „religio“ war ein Gegenbegriff zu „superstitio“, und während die Religion Teil des römischen Zeitgeistes war, gab es im griechisch-byzantinischen Osten kein Äquivalent. In der gesamten Antike war das Gesetz verfahrensmäßig und schematisch ein eigener Bereich. Die frühe Christenheit hielt sich dank des heiligen Augustinus von dem Gesetz relativ fern und hatte auch später angesichts ihrer Ursprünge ein eher unbehagliches Verhältnis dazu. So wurden sogar zu Zeiten der Inquisition offiziell rechtskräftige Verurteilungen durch ein Laiengericht vorgenommen.

Für die meisten Juden von heute ist Religion ein ethnokulturelles Phänomen, ohne das Gesetz – und für viele eine Nation. Dasselbe gilt für Armenier, Syrer, Chaldäer, Kopten und Maroniten. Für orthodoxe und katholische Christen ist Religion überwiegend Ästhetik, Pomp und Ritual. Für Protestanten ist Religion Glaube ohne Ästhetik, Pomp und Gesetz. Religion weiter im Osten ist für Buddhisten, Shintoisten und Hindus eine praxisorientierte und spirituelle Philosophie mit einem Sittenkodex. Quelle: „Das Risiko und sein Preis“ von Nassim Nicholas Taleb

Von Hans Klumbies