Die Götter ließen sich nicht mit leeren Worten abspeisen

Für die größte theologische Schwäche von Blaise Pascals „Wette“ ist für Nassim Nicholas Taleb die Annahme, der Glaube wäre als frei Option zu haben: „Zum Glauben gehört eine Symmetrie zwischen dem, was Sie zahlen, und dem, Was Sie bekommen. Andernfalls wäre es zu einfach.“ In der heidnischen Welt des östlichen Mittelmeerraums gab es keine Verehrung der Götter ohne Opfer. Die Götter ließen sich nicht mit leeren Worten abspeisen. Es ging darum, seine Prioritäten offenzulegen. Die Brandopfer wurden nur deshalb verbrannt, damit die Menschen sie nicht verzehren konnten. Allerdings stimmt das auch wieder nicht ganz: Der Hohepriester erhielt durchaus seinen Anteil; das Priestertum war eine recht lukrative Berufssparte, und im vorchristlichen, griechischsprachigen Ostmittelmeerraum wurden die Ämter der Hohepriester häufig versteigert. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

Christus opferte sich für andere

Auch im Tempel von Jerusalem wurden physische Opfer dargebracht, selbst noch bei den späteren Juden oder den frühen Christen, den Jüngern des paulinischen Christentums. Im Hebräer 9,22 heißt es: „Fast alles wird nach dem Gesetz mit Blut gereinigt, und ohne dass Blut vergossen wird, gibt es keine Vergebung.“ Letztlich schaffte das Christentum aber die Vorstellung eines solchen Opfers ab – vor dem Hintergrund, dass Christus sich selbst für andere opferte.

Wer allerdings zum sonntäglichen Gottesdienst eine katholische oder orthodoxe Kirche aufsucht, wird ein Simulakrum sehen. Da gibt es Wein, der Blut darstellt und der gegen Ende der Zeremonie in den Ausguss geschüttet wird. Auch das Judentum schaffte das Blutopfer ab. Nach der Zerstörung des zweiten Tempels im 1. Jahrhundert n. Chr. wurden keine Tieropfer mehr dargebracht. Zuvor hatte die Geschichte von Isaak und Abraham die Abwendung vom Menschenopfer durch die abrahamitischen Sekten markiert.

Liebe ohne Opfer ist Diebstahl

Das Opfern von Tieren ging allerdings noch eine gewisse Zeit weiter, wenn auch unter veränderten Bedingungen. Gott stellte Abrahams Glauben mit einer asymmetrischen Gabe auf die Probe: „Opfere mir deinen Sohn – das war mit anderen Situationen nicht vergleichbar, in denen man den Göttern einen Teil der eigenen Erträge gab, um Vorteile oder besser Ernten zu erhalten, wie es bei gewöhnlichen Gabenaktionen die Regel ist, also mit der stillschweigenden Erwartung einer Gegengabe.

Das von Abraham verlangte Opfer war die Mutter aller bedingungslosen Gaben für Gott. Es war eine Transaktion, die allen Transaktionen ein Ende bereitete. Und rund tausend Jahre später unternahmen die Christen ihre letzte Transaktion. Liebe ohne Opfer ist Diebstahl. Das gilt für jede Form von Liebe, besonders aber für die Liebe zu Gott. Die Vorstellung eines Glaubens ohne Opfer – ohne einen handfesten Beweis – ist neu in der Geschichte. Nassim Nicholas Taleb erläutert: „Die Stärke eines Glaubensbekenntnisses beruhte nicht auf einem „Beweis“ der Macht seiner Götter, sondern auf dem Beweis, den seine Anhänger erbrachten: dass sie nämlich ihre Haut aufs Spiel setzten.“ Quelle: „Das Risiko und sein Preis“ von Nassim Nicholas Taleb

Von Hans Klumbies