Der Friede überwiegt die Zeiten des Krieges

Die Geschichte ist überwiegend ein durch Kriege unterbrochener Friede, nicht durch Phasen des Friedens unterbrochene Kriege. Nassim Nicholas Taleb erläutert: „Das Problem besteht darin, dass wir Menschen zu einer Verfügbarkeitsheuristik neigen, bei der die Bedeutung fälschlicherweise mit dem Statistischen verwechselt wird, und der auffällige und emotionale Effekt eines Ereignisses lässt uns glauben, dass es regelmäßiger vorkommt, als es tatsächlich der Fall ist.“ Das hilft den Menschen dabei, im Alltagsleben klug und vorsichtig zu agieren, indem sie eine zusätzliche Schutzschicht einführen, aber in der Forschung entstehen dadurch keine Fortschritte. Wenn man nämlich historische Darstellungen internationaler Angelegenheiten liest, könnte man fälschlicherweise annehmen, dass es in der Geschichte hauptsächlich um Kriege ging. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

Eine empirisch strenge Vorgehensweise im Bereich Geschichte ist eher selten

Der momentane Friede zwischen den europäischen Staaten wird der Herrschaft wortlastiger Bürokraten zugeschrieben, denen es an „toxischer Männlichkeit“ mangelt, anstatt der amerikanischen und sowjetischen Besatzung. Die Menschen werden mit der immer gleichen Diät einer Geschichte der Kriege gefüttert, weniger mit einer Geschichte des Friedens. Als Trader wurde Nassim Nicholas Taleb beigebracht, nach der ersten Frage zu sehen, die die Leute vergessen zu stellen: Wer schrieb diese Bücher?

Nun, das waren Historiker, Experten für internationale Angelegenheiten und Fachleute für Politik. Können diese Leute zum Narren gehalten werden? Nassim Nicholas Taleb will es einmal höflich formulieren und sagen, dass es sich bei ihnen in der Mehrheit nicht um Genies handelt und dass sie unter einer strukturellen Voreingenommenheit argumentieren. Es sieht, trotz anderslautender Lippenbekenntnisse und Selbstprüfungen, ganz so aus, als sei eine empirisch strenge Vorgehensweise im Bereich Geschichte und Internationale Beziehungen selten.

Positive Resultate erhalten mehr Aufmerksamkeit als negative

Da wäre erstens das Problem der „Überanpassung“, des übertriebenen Erzählens: Aus den Daten der Vergangenheit wird zu viel „via positiva“ herausgezogen und nicht genügend „via negativa“. Nassim Nicholas Taleb erklärt: „Selbst in den empirischen Wissenschaften erhalten positive Resultate tendenziell mehr Aufmerksamkeit als negative. Es muss uns also nicht überraschen, dass Historiker und Spezialisten für Internationale Beziehungen in dieselbe Falle gehen.

Zweitens verstehen diese Wissenschaftler eine zentrale mathematische Eigenschaft nicht, sie verwechseln nämlich Intensität mit Häufigkeit. Drittens darf das Problem der Repräsentanz nicht außer Acht gelassen werden: die Frage, in welchem Umfang das Erzählte mit dem Empirischen übereinstimmt. Viertens wimmelt es in den Darstellungen früherer Kriege von Überschätzungs-Verzerrungen. Das Grelle schiebt sich von einer Darstellung zur nächsten immer mehr an die Oberfläche. Man sollte also nicht vergessen, dass Historiker und Politikwissenschaftler aus einer Kohorte von Leuten stammen, die sich ihr Wissen aus Büchern und nicht im wirklichen Leben und Business angeeignet haben. Quelle: „Das Risiko und sein Preis“ von Nassim Nicholas Taleb

Von Hans Klumbies