Der Chinese Mo Yan erhält den Literaturnobelpreis 2012

Heute erhält der chinesische Schriftsteller Mo Yan in Stockholm den Literaturnobelpreis. Wer wäre besser dafür prädestiniert als seine Übersetzerin Karin Betz, zu erklären, was das Werk Mo Yans auszeichnet. Zuerst einmal sind Mo Yans Geschichten laut Karin Betz eine Zumutung. In „Das rote Kornfeld“ wird dem Onkel des Erzählers bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, und in „Die Knoblauchrevolte“ erhängt sich eine hochschwangere junge Frau, als schon die Wehen eingesetzt haben. In seinem Roman „Die Sandelholzstrafe“ wird ein Mann von einem Foltermeister nach allen Regeln der Kunst lebendig in fünfhundert Teile zerlegt. Doch seine Leser können und wollen diese Geschichten lesen, denn wenn sie erst einmal in Mo Yans Welt eingetaucht sind, befinden sie sich an einem Ort namens Gaomi, in dem das Zuschauen beim Schlachten eines Schweins noch zum Leben gehört, in dem es die Menschen noch gewohnt sind, dem Leid ins Gesicht zu blicken und über die ständige Nähe von Not und Schmerz gelernt haben, was das Leben in seiner ganzen Fülle bedeutet.

Der Schriftsteller Mo Yan ist in erster Linie ein Geschichtenerzähler

Karin Betz erklärt: „Die literarische Welt des neuen Literaturnobelpreisträgers ist geprägt von der Präsens der Natur und der Nähe zwischen Mensch und Tier im ländlichen Gaomi, der Ignoranz und Brutalität genauso wie der Hilflosigkeit und dem Witz der armen Bauern, die immer Benachteiligte bleiben, ganz gleich, unter welchen ideologischen Vorzeichen gerade die Politik steht.“ Die Welt von Gaomi ähnelt in vielem Dingen ihrer Meinung nach einer vergessenen Form der Volksoper, der sogenannten Katzenoper. Fünf Personen erzählen darin im ersten und dritten Teil aus ihrer Sicht eine Geschichte des Scheiterns.

Mo Yan bedient sich zwar eines breiten Repertoires vorhandener sprachlicher Mittel, aber er geht nicht über die Möglichkeiten des Chinesischen hinaus. Für Karin Betz ist er in erster Linie ein Geschichtenerzähler, der in sein Werk eine Mischung aus mündlicher Erzähltradition, klassischen chinesischen Versen und der europäischen Erzähltradition des psychologischen Realismus einfließen lässt. Karin Betz fügt hinzu: „Seine Sprache, der man als Übersetzer sehr nahe kommt, ist im Grunde konventionell. Gerade die permanente Verwendung von Sprichwörtern oder klassischen Zitaten finden sich bei chinesischen Autoren oft.“

Das Thema der Gewalt dient als Appell an die Menschlichkeit und das Mitgefühl

Die Gewalt, die ein Mensch anderen Menschen zufügt ist für Karin Betz kein exklusiv chinesisches Thema. Sie dient ihrer Meinung nach einem ernsthaften Autor als Appell an die Menschlichkeit und das Mitgefühl. Sie zitiert den Schriftsteller Martin Walser, der von der unglaublichen Schönheit spricht, in die Mo Yan gerade die grausamsten Bilder seiner Romane kleidet. Außerdem bleiben Mo Yans Geschichten immer eindeutig in der gesellschaftlichen Wirklichkeit verhaftet und vermeiden einen märchenhaften Ausgang.

Der halluzinatorische Realismus im Werk von Mo Yan, könnte laut Karin Betz für eine geradezu buddhistische Anmutung stehen, des aus dem Werk des Schriftstellers hervorscheint. Karin Betz erläutert: „Der Buddhismus kennt keine Unterscheidung zwischen realen und irrealen Phänomenen. Ungeborene und Tiere beginnen zu sprechen, und die Welt der Phantasie ist nur eine weitere Dimension der Wirklichkeit.“ Was ist, ist in den Romanen von Mo Yan auch wirklich. Weil in seinen Werken soviel Authentizität herrscht, begegnet der Leser hier universellen Fragen nach Humanität und dem Überleben in einer immer undurchschaubareren Welt.

Von Hans Klumbies