Sogar Könige sind als Minnesänger bekannt

Wie die höfische Versepik ist auch der Minnesang der Literaturepoche der Stauferzeit zuzuordnen. Auch er wird vom Ritterstand getragen und ist für ihn ein wesentliches Ausdrucksmittel. Anders als das Versepos spielt der Minnesang als einstimmiger Solovortrag, der gelegentlich schriftlich notiert und von Fiedel, Harfe, Flöte, Dudelsack, Schalmei begleitet wird, eine zentrale Rolle im höfischen Festtagsablauf. Oftmals treten Minnesänger zum Wettstreit gegeneinander an – eine verfeinerte Form des ritterlichen Turniers. Die Minnesänger kommen aus allen Ständen. Sogar Könige wie Wilhelm IX. von Aquitanien, Heinrich VI., Friedrich II. und Alfons von Kastilien befinden sich unter ihnen. Auch zahlreiche Burggrafen sind als Minnesänger bekannt. Und wenn schon die soziale Wirklichkeit ein immenses Gefälle innerhalb des Ritterstandes kennt, in der Gestalt des Minnesängers stehen Ritter von Geburt und Vermögen, ärmliche Ministeriale der niedersten Stufe und Unterständige gleichrangig nebeneinander.

Der Minnesang ist gesellschaftliche Kultur

Der Minnesang ist seinem bevorzugten Ort – dem höfischen Fest – und seinem Wesen nach gesellschaftliche Kultur. Er setzt nicht nur die versammelte Ritterschaft, sondern auch die Anwesenheit der Damen voraus. Die Grundkonstellation des Minnesangs ist des Öfteren als paradox bezeichnet worden: Der Minnesänger stimmt eine Werbe- und Preislied auf eine der anwesenden Damen an, wobei ihm aber bewusst ist, dass er die Dame, die er anhimmelt, nie erobern wird. Wovon er singt, wird er nie erleben.

Da die Minne eine körperliche Begegnung ausschließt, ist sie ganz als ethische und erzieherische Kraft zu betrachten. Als klassische Form des Minnelieds setzt sich die sogenannte Stollenstrophe durch – eine dreiteilige Form, die in ihrer Grundstruktur mit den beiden ersten, metrisch gleichwertigen Versen den ersten Stollen, mit den beiden folgenden, die identisch sind, den zweiten Stollen bildet. Diesem „Aufgesang“ steht ein im metrischen Bau und in der Verszahl abweichender „Abgesang“ gegenüber.

Walter von der Vogelweide gilt als Vollender des hohen Minnesangs

Hinzu kommt die Melodie, nach der das Minnelied gesungen wird. Sie ist für den weitaus größten Teil der Minnelyrik nicht überliefert. Wo in der Spätzeit Melodien erhalten sind, wie bei Neidhart, dem Sänger mit der größten Breitenwirkung, fehlen in der Regel Angaben über Länge, Kürze und Takt. Die Minnelyrik der staufischen Literaturepoche entwickelt sich in mehreren unterscheidbaren Etappen. Zwischen 1150 und 1170 gibt es eine donauländische Gruppe, die ohne Berührungsmöglicheit mit der südfranzösischen Troubadourdichtung Minnelyrik hervorbringt.

Zwischen 1170 und 1190 ist am Mittel- und Oberrhein eine Gruppe zu beobachten, die deutliche Berührungspunkte mit der provenzalischen Tradition hat. Walter von der Vogelweide gilt als Vollender und Überwinder des hohen Minnesangs. Schließlich findet sich eine späte Gruppe am Hof Heinrichs VII. (1220 – 1235) mit Burkhart von Hohenfels und Gottfried von Neufen, bei der sich im Grunde bereits der Übergang von der hohen Minnedichtung zum Gesellschaftslied des Spätmittelalters vollzieht. Quelle: „Deutsche Literaturgeschichte“ aus dem Verlag J. B. Metzler

Von Hans Klumbies