Willy Brandts Ostpolitik war demutsvoll

Jubel in der SPD. Der Bundestag wählte Willy Brandt am 21. Oktober 1969 zum vierten Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. Seine Ostpolitik hat die Wiedervereinigung zwar nicht gebracht, aber strukturell erleichtert und somit ermöglich. Seine Ostpolitik war im Inhalt und im Stil demutsvoll. Die Bilder seines Kniefalls vor dem Warschauer Ghetto-Mahnmal gingen um die Welt. Sie zeigten, dass dieses wirklich neue Deutschland friedlich ist und keinerlei Gebietsrückgaben von fremden Ländern beansprucht. Michael Wolffsohn erklärt: „Land für Frieden.“ Inzwischen existieren Sowjetunion und Ostblock nicht mehr. Zum politischen Westen gehören weite Teile des einstigen auch deutschen Ostens. Und von einer Einheit des neuen Westens kann noch weniger als damals die Rede sein. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

Die Einheit des Westens bröckelte

Somit hat Willy Brandts Instrumentarium eigentlich ausgedient. Doch in der Moskau-Nostalgie so mancher Sozial- und Christdemokraten wirkt die alte Liebe weiter. Wie sonst könnte man die ökonomisch widersinnige, russozentrische Erdgaspolitik der Großen Koalition erklären? Sie vergiftet zudem Deutschlands Beziehungen zu Polen, den baltischen Staaten und auch zu den USA. Willy Brandts Erstgeburtsrecht auf Entspannungspolitik im Ost-West-Konflikt muss laut Micheal Wolffsohn relativiert werden.

Die Entspannung eingeleitet hatten Frankreichs Präsident de Gaulle seit 1958 sowie die USA unter Nixon und Kissinger seit 1970. Selbst im deutschen Politikvokabular sprach man zuerst von „Détente“. Viel später nannte man sie „Entspannung“. Die gesamtwestliche Entspannungspolitik schloss zum Teil innerwestliche Konkurrenz um die „Fleischtöpfe“ des Ostblocks nicht aus. Die vermeintliche Einheit des Westens bekam sogar zusätzliche Risse. Das betraf besonders die bundesdeutsch-amerikanischen Beziehungen.

Washington löste den Atomalarm aus

In den USA fürchtete der große Stratege Kissinger eine „Neuauflage von Rapallo“. Also eine unsichtbar enge deutsch-sowjetische Partnerschaft wie 1922 bis 1933. Willy Brandts Entspannungspolitik glich daher einem Drahtseilakt zwischen West- und Ostpolitik. Im Oktober 1973 sprang der Kanzler ab. Seine Regierung untersagte den USA, während des Jom-Kippur-Krieges Israel Waffennachschub über die Bundesrepublik zu liefern. Beinahe wäre aus dem Nahostkrieg eine Weltkonfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion geworden.

Michael Wolffsohn blickt zurück: „Washington löste den Atomalarm aus, amerikanische Soldaten verstärkten den Schutz der westdeutschen Grenzen.“ Währenddessen und trotzdem stritt Willy Brandts Regierung weiter mit den USA über deren militärischen Manövrierraum auf dem Gebiet der NATO. Willy Brandts Beispiel macht bis heute amerikapolitische Schule. Im Herbst 1980 bedrohte der Iran die freie Schifffahrt durch die Straße von Hormuz. US-Präsident Jimmy Carter bat West-Deutschland, sich an einem internationalen Marineverband zu Sicherung dieser vitalen Ölroute zu beteiligen. Schroff wies ihn Willy Brandts Nachfolger, Kanzler Helmut Schmidt (SPD), ab. Quelle: „Tacheles“ von Michael Wolffsohn

Von Hans Klumbies