Verschwörungstheorien bieten simple Erklärungen

Populisten bedienen sich auch in Deutschland gezielt Verschwörungstheorien. Auf die Frage, warum plötzlich so viele Leute dazu bereit sind, den größten Irrsinn zu glauben, antwortet Michael Butter: „Weil Verschwörungstheorien den Zufall beseitigen und dem Einzelnen die Chance geben, eine simple Erklärung für etwas zu finden, was ihn nervt, verängstigt oder belastet.“ Außerdem erlauben es Verschwörungstheorien, mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen. Das können dann wahlweise die Politik, die Medien oder auch die Flüchtlinge sein. Zudem kann sich der Einzelne mit Verschwörungstheorien aus der Masse herausheben, weil er derjenige ist, der weiß, wie der Hase läuft. Der Kulturhistoriker Michael Butter ist Professor für Amerikanistik an der Universität Tübingen und Initiator eines EU-Forschungsprojekt zur vergleichenden Analyse von Hintergründen, Nutzen und Gefahren von Verschwörungstheorien.

Verschwörungstheorien sind fast immer konservativ

Für Michael Butter sind Verschwörungstheoretiker aber kein Fall für den Arzt: „Das dachte man lange. Aber wenn Studien zu dem Ergebnis kommen, dass etwa jeder zweite Amerikaner mindestens an eine Verschwörungstheorie glaubt, macht man es sich zu einfach, die alle für verrückt zu erklären.“ Michael Butter glaubt, dass bei dem Phänomen eine allgemeine Verunsicherung und Marginalisierung eine große Rolle spielen. Man hat das Gefühl, die Welt ist nicht mehr die, die sie mal war, es schwimmen einem die Felle weg, das macht Angst.

Verschwörungstheorien sind nicht immer Gedankengebilde von rechts. Aber sie sind fast immer konservativ. Deshalb sind auch mehr Männer als Frauen anfällig für Verschwörungsmythen. Denn deren tradierte Rolle ist in den letzten Jahrzehnten viel stärker infrage gestellt worden. Aber nicht nur Menschen aus der Arbeiterklasse verabschieden sich in Scharen aus der Welt der Fakten. Weil es sich um weit mehr als eine ökonomische Marginalisierung handelt. Es geht um Lebensmodelle. Es ist auch in keiner Weise neu, mit Verschwörungstheorien Politik zu machen.

Verschwörungstheorien füllen Sinndefizite auf

Für Michael Butter ist es eher ungewöhnlich, dass man in den letzten paar Jahrzehnten im Westen eine Phase erlebt hat, in der das nicht geschehen ist. Im 18., 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war es normal, Verschwörungstheoretiker zu sein. Sogar Abraham Lincoln hat Verschwörungstheorien verbreitet. Es war normal, so zu denken. Zumal es ja auch tatsächlich immer mal wieder reale Verschwörungen und Komplotte gab. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde diese Weltanschauung delegitimiert.

Auf die Frage, ob es so etwas wie einen Urknall der Verschwörungstheorie gibt, antwortet Michael Butter: „Eine These ist, dass Verschwörungstheorien das Sinndefizit auffüllen, das die Aufklärung geschaffen hat. Also eine Reaktion auf die Entzauberung der Welt sind.“ An die Stelle Gottes traten die Verschwörer. Früher witterten oft die Eliten eine Verschwörung von unten oder von außen. Heute ist es eher so, dass die Eliten selbst als Teil einer Verschwörung wahrgenommen werden. In dieser Vorstellung sind „die da oben“ entweder Superverschwörer oder Marionetten, die von sinistren Mächten gelenkt werden. Quelle: Der Spiegel

Von Hans Klumbies