Die Moderne ist die Zeit der universellen Sichtbarkeit

Da mit dem Tod Gottes kein zentrales Sinnprojekt mehr auszumachen ist, und es also auch keine zentrale Steuerungsinstanz gibt, kann die Gesellschaft nur funktionieren, wenn die Steuerung dem Einzelnen übertragen wird. Maximilian Probst ergänzt: „Das tut der Einzelne umso eher und vollständiger, je stärker er das Gefühl hat, selbst diese Steuerung zu wollen und ihre Ausrichtung zu bestimmen.“ So wie Hans-Georg Gadamer meinte, die Selbstbestimmung des Individuums sei „nur ein Flackern im Stromkreis des geschichtlichen Lebens“, so erscheint nun auch die eigene Freiheit, die eigene Freigeistigkeit als irrlichternde Chimäre im gesellschaftlichen Ganzen. Für Michel Foucault erscheinen die Menschen nur frei, wenn sie vergessen, dass sie lediglich frei sind, das zu tun, was die Gesellschaft ohnehin von ihnen verlangt. Der Journalist Maximilian Probst schreibt seit 2011 vorwiegend für die Wochenzeitung die „Zeit“.

Das Internet hat das Vertrauen mit der Kontrolle kurzgeschaltet

Der Selbstentwurf im Sinne Friedrich Nietzsches, dass Sein in der Moderne ein sich darstellen ist, mit dem die Menschen ihre eigene Identität schaffen und um deren Anerkennung sie werben, ist für Michel Foucault nur ein schlechter Witz. Diese Ideen würden seiner Meinung nach bloß die Verkennung der darüber installierten Kontroll- und Machtinstanzen ausdrücken. Um die zu beschreiben, bedient er sich des Panoptikums, wie es Jeremy Bentham skizziert hat, ein Gefängnis, in dem alle Zellen kreisförmig um einen zentralen Wachturm gruppiert sind.

Michel Foucaults Pointe lautet: „Die Moderne ist die Zeit der universellen Sichtbarkeit. Wir alle sitzen im Panoptikum.“ Wenn man sich Michel Foucaults Sicht auf die Dinge anschließt, sieht man wie das Internet dem Vertrauen eine Kontrollinstanz vorgeschaltet hat, oder besser gesagt: Es hat das Vertrauen mit der Kontrolle kurzgeschaltet. Dieses kontrollierte Vertrauen verläuft über den Bewertungsmechanismus des Internets. Maximilian Probst erklärt: „Zurzeit erleben wir eine radikale Ausbreitung dieses Bewertungsprinzips im Internet. Ja, es erscheint mitunter wie eine einzige Bewertungsmaschinerie, im Dienst, das Individuum für alle sichtbar auf einer quantitativen Skala abbildbar zu machen.“

Der Geheimdienst hat in der Moderne die Position Gottes eingenommen

Weil das Individuum heutzutage jederzeit gesehen werden kann, verhält es sich so, als würde es jederzeit gesehen. Es überwacht sich selbst, wie es von anderen Individuen, mit denen es in Kontakt tritt, überwacht wird, und erwirbt sich in diesem Procedere seine Kredite. Gemeinsam werden die Individuen von den Internetplattformen überwacht, die jede einzelne Interaktion zwischen den Individuen speichern, auswerten und ihrerseits nur in dem Maße rentabel sind, je mehr Individuen sie überwachen und je besser ihnen das gelingt.

Maximilian Probst stellt fest: „Über dieser Trias der Überwachung thront der Geheimdienst als Hyper-Überwacher, der alles sieht, alles weiß, dem nichts verborgen bleibt, der die Position dessen einnimmt, was vor der Moderne Gott genannt wurde.“ Daneben ist die Moderne für Maximilian Probst ein großes Nebeneinander, Untereinander, Durcheinander. Genau deshalb brauchen die Menschen die Verbindlichkeit: als ethische Praxis des Zusammenlebens im großen Durcheinander. Quelle: „Verbindlichkeit“ von Maximilian Probst

Von Hans Klumbies

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