Matthias Sutter verrät wie Ökonomen die Geduld messen

In der Verhaltensökonomie messen die Wissenschaftler das Maß an Geduld in der Regel in der Form, dass ein Versuchsteilnehmer nicht nur eine, sondern mehrere Entscheidungen treffen muss. Dabei wird die potentielle Belohnung in der Zukunft Schritt für Schritt gesteigert. Matthias Sutter nennt den Grund für diese Vorgehensweise: „Dadurch kann man messen, wie attraktiv die zukünftige Belohnung sein muss, um der kleineren Belohnung in der Gegenwart zu widerstehen. Dieses Herangehen entspricht dem typischen Ansatz von Ökonomen, dass (fast) alles seinen Preis hat. Tatsächlich hat auch das Warten auf die Zukunft einen Preis, nämlich den Verzicht auf Konsum in der Gegenwart.“ Matthias Sutter, geboren 1968, ist Professor für Angewandte Ökonomie am European University Institute in Florenz und Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Innsbruck. Er zählt zu den produktivsten Experimental-Ökonomen seiner Generation.

Bei steigenden Zinsen wird auf Konsum in der Gegenwart verzichtet

Je nachdem, wie attraktiv der gegenwärtige Konsum im Vergleich zu den Konsummöglichkeiten der Zukunft ist, wird jemand warten oder nicht. Dieses Grundprinzip gilt laut Matthias Sutter für alle Entscheidungen, bei denen die Zukunft eine Rolle spielt. Als Beispiel nennt er steigende Zinsen, die Menschen dazu veranlassen, mehr zu sparen, weil dann der Verzicht auf aktuellen Konsum in der Zukunft mehr Ertrag bringt. Ebenso lohnt es sich, in eine gute, wenn auch lange Ausbildung zu investieren, wenn die Berufs- und Verdienstmöglichkeiten mit einer solchen Ausbildung attraktiv und lukrativ sind.

Wenn Probanden mehrere Entscheidungen treffen müssen, dann können die früheren auf die späteren gravierende Auswirkungen haben. Teilnehmern an solchen Studien wird mitgeteilt, dass am Schluss nur eine ihrer Entscheidungen tatsächlich zählt. Um welche es sich dabei handelt, wird aber erst am Ende ermittelt. Das kann beispielsweise durch das Ziehen von Loskugeln oder Würfeln geschehen. Matthias Sutter fügt hinzu: „In jedem Fall werden die Teilnehmer aufgefordert, jede Entscheidung möglichst gewissenhaft und so zu treffen, als ob die betreffende Entscheidung die tatsächlich gültige wäre.“

Ein geduldiger Mensch kann einer unmittelbaren Belohnung widerstehen

Scheinbar überraschend ist, dass ein experimentell erhobenes Maß für Geduld auch etwas mit dem Gesundheitszustand eines Menschen zu tun haben soll. Geduld kann in diesem Zusammenhang aber als Fähigkeit verstanden werden, einem Impuls für unmittelbare Belohnung widerstehen zu  können, um auf eine bessere Möglichkeit in der Zukunft zu warten beziehungsweise darauf hinzuarbeiten. Matthias Sutter erläutert: „Viele Entscheidungen, die unsere Gesundheit beeinflussen, erfordern ein ähnliches Abwägen.“

Wenn jemand zum Beispiel gerne sportlicher wäre, dann müsste er seinen inneren Schweinehund überwinden, um mit Training beziehungsweise regelmäßiger Bewegung zu beginnen. Das erfordert Ausdauer und Konsequenz, weil sich die Fitness nicht von heute auf morgen durch ein kurzes Jogging verbessern lässt. Matthias Sutter nennt ein weiteres Beispiel: „Wer abnehmen möchte, muss einerseits der Versuchung widerstehen, die gewohnte – meist zu große – Menge an Essen zu sich zu nehmen, andererseits aber auch gesündere Speisen essen und sich mehr bewegen.“

Von Hans Klumbies