Nichts beschäftigt den Menschen – seit grauer Vorzeit und bis in die Gegenwart – mehr als Fragen der zwischenmenschlichen Interaktion und Kommunikation. Matthias Glaubrecht erläutert: „Von den ersten schriftlichen Dokumenten und antiken Dossiers über die Briefkorrespondenz, von den Anfängen der Erzählung über Romane bis zum Smartphone dominiert das soziale Mit- und oft genug Gegeneinander unsere menschliche Kultur.“ Immer ging und geht es um die Frage: Wer macht was mit wem? Die Menschheit ist eine unersättlich neugierige Spezies, sofern es dabei um die eigene Person geht und um Menschen, die man kennt oder gerne kennenlernen würde. Menschen sind ewige Smartphoner und waren es bereits, lange bevor sie dazu die neuesten technischen und medialen Möglichkeiten entwickelt hatten. Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe, Systematiker und Wissenschaftshistoriker.
Der Mensch ist ein soziales Wesen
Das soziale und kommunikative Verhalten, das bis heute den Alltag der Menschen mehr als irgendetwas anderes beherrscht, ist uraltes Primatenerbe. Ihm verdankt die Menschheit letztlich ihre Evolution. Was am Anfang das Lagerfeuer der nomadisierenden Gemeinschaft war, ist heute die Whats-App-Gruppe. In erster Linie ist der Mensch ein soziales Wesen. Dazu hat er hochkomplexe Formen der Kommunikation, der Kooperation und der Imagination entwickelt. Das sicherte anfangs sein evolutives Überleben und machte ihn anderen Tieren überlegen.
Matthias Glaubrecht weiß: „Inzwischen wird im hohen Grad der Bereitschaft des Menschen zu Kooperation der einzige wirkliche Unterschied zu den Tieren gesehen. Und es geht noch weiter: Mit der Intelligenz und sozialen Kompetenz unserer homininen Ahnen kamen auch Lüge und Täuschung in die Welt, so glauben einige Verhaltensforscher.“ Volker Sommer sieht Lug und Trug als eine wichtige gestalterische Kraft der mentalen und emotionalen Landschaften der Menschen. Dabei handelt es sich um ein uraltes Naturerbe.
Eine üble Lüge hat zugleich ihr Gutes
Es sind gerade die Lügen und Täuschungen, Heimlichtuereien und Intrigen, die einen Menschen ausmachen. Die üble Lüge hat aber zugleich ihr Gutes. Sie bescherte nämlich den Menschen jene ausbeuterische Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen zu können. So können Menschen fühlen, wie es um jemanden steht. So kommt Volker Sommer zu dem Schluss, dass „auf dem Mist der Lüge auch die schöne Blume des Mitleids und der Sympathie gewachsen“ ist.
Die herausragende Eigenschaft der menschlichen Intelligenz, nämlich dass man anderen hilft ist erst auf diese Weise entstanden. Matthias Glaubrecht erklärt: „Weil wir uns streiten und Konflikte austragen, gibt es überhaupt Versöhnung. Weil wir egoistisch sind, kommt es zur Kooperation.“ Leider gehört noch etwas anderes zum Menschen als sozialen und kooperativen Wesen. Die Bildung stabiler sozialer Gruppen – anfangs als biologisches Verhalten, später auch als kultureller Prozess – barg bereits den Keim der Ausgrenzung, Unterdrückung und Ausbeutung von Angehörigen anderer, fremder Gruppen in sich. Quelle: „Das Ende der Evolution“ von Matthias Glaubrecht
Von Hans Klumbies