Der Hass stellte eine negative Emotion dar, der sich auf das Ganze der Person konzentriert statt auf die einzelne Tat. Obgleich auch der Zorn auf eine Person gerichtet ist, liegt sein Focus auf der Tat, und wenn die Tat irgendwie aus der Welt geschafft wird, kann man erwarten, dass sich auch der Zorn verflüchtigt. Martha Nussbaum fügt hinzu: „Der Hass hingegen ist umfassend und allgemein, und wenn dabei Handlungen eine Rolle spielen, dann einfach deshalb, weil alles an der Person in einem negativen Licht gesehen wird.“ Aristoteles zufolge gibt es nur eine einzige Sache, die gegen den Hass hilft und ihn wirklich zur Ruhe kommen lässt: nämlich dass die Person zu existieren aufhört. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.
Beim Zorn des Übergangs richtet sich der Blick auf das Wohl aller
Der Zorn des Übergangs hat daher praktisch mit dem Hass nichts gemeinsam: Bei ihm geht der Blick nach vorn und richtet sich auf das Wohl aller. Der auf eine Tat konzentrierte und auf das soziale Wohl abzielende Zorn einer Person, die den Übergang durchläuft, lässt sich ebenfalls leicht vom Hass unterscheiden. Die Person will, dass das Fehlverhalten aufhört, wobei sie den dafür verantwortlichen Menschen durchaus weiterhin lieben und es gut mit ihm meinen könnte.
Sobald allerdings der Wunsch nach Vergeltung hinzukommt, werden die Dinge komplizierter: Dieser Wunsch erscheint wie eine Art Hass auf den anderen, denn er ist eindeutig kein konstruktiver Beitrag zur Wiedergutmachung. Wenn die Person den Weg des Status wählt, ist die Unterscheidung ebenfalls unscharf: Sie sucht den anderen zu erniedrigen oder zu demütigen, und dieses Vorhaben schlägt leicht in eine ablehnende Haltung gegenüber der Person und nicht allein ihrer Tat um. Menschen, die andere erniedrigen, wollen in der Regel, dass die Erniedrigung Bestand hat.
Verachtung ist oftmals unangebracht und falsch
Die Verachtung stellt eine weitere „reaktive Haltung“ dar, die nicht selten mit dem Zorn assoziiert wird. Zunächst scheinen sich auch hier die beiden Emotionen wieder stark zu unterscheiden. Die Verachtung ist eine Haltung, welche die andere Person als niedrig oder gering ansieht, für gewöhnlich aufgrund irgendeiner oder mehrerer beständiger Eigenschaften der Persönlichkeit, an denen die Person selbst schuld sein soll. Selbstverständlich gibt es legitime oder nichtlegitime Ideale, denen Menschen genügen oder auch nicht genügen können.
Martha Nussbaum kritisiert: „In vielen Fällen gilt die Verachtung nicht Schwächen im ethischen Charakter, sondern vielmehr der mangelnden gesellschaftlichen Stellung oder Position oder der Vermögenslosigkeit.“ Demnach ist die Unterstellung, selbst daran schuld zu sein, welche die Verachtung von herablassendem Mitleid unterscheidet, oftmals unangebracht und falsch: Viele Menschen geben den Armen die Schuld an ihrer Armut, in der sie ein Zeichen von Faulheit sehen, und verachten sie deshalb. Quelle: „Zorn und Vergebung“ von Martha Nussbaum
Von Hans Klumbies