Martha Nussbaum beschreibt wichtige Facetten des Ekels

Martha Nussbaum schreibt: „Ekel ist eine starke Abneigung gegenüber Aspekten oder Teilen des Körpers, die als „animal reminders“ bezeichnet werden – das heißt Aspekten von oder Seiten an uns selbst, die uns daran erinnern, dass wir sterbliche und animalische Wesen sind.“ Seine primären Objekte sind Fäkalien und andere körperlichen Ausscheidungen, die Verwesung und Tiere oder Insekten, die schleimig, schmierig oder übelriechend sind bzw. anderweitig an die abgelehnten Körperflüssigkeiten oder -ausscheidungen erinnern. Der Kerngedanke des Ekels ist der an eine (potenzielle) Verunreinigung durch Kontakt oder Nahrungsaufnahme: Wer das Unedle, das Niedrige zu sich nimmt, zieht in das auf sein Niveau hinunter. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Ekel und Zorn gehen mit stark aversiven Tendenzen einher

In einer sekundären Phase werden die Ekelmerkmale auf Menschengruppen projiziert, die die genannten Eigenschaften eigentlich nicht haben: Rassische, sexuelle, religiöse oder soziale Minderheiten werden als über die Maßen animalisch oder körperlich dargestellt, und dann wird behauptet, sie seien Verunreiniger, weil sie angeblich nicht gut riechen würden, von Keimen befallen seinen etc. Gesellschaften ersinnen daraufhin bemerkenswerte Rituale zur Vermeidung von Verunreinigung und sichern die Grenzen zwischen der dominanten Gruppe und der „animalischen“.

Die dominante Gruppe lehnt es ab, Nahrung, Schwimmbecken, Trinkbrunnen oder sexuelle Beziehungen mit denen zu teilen bzw. einzugehen, die sich in die Rolle nicht vollwertiger Wesen gedrängt sehen. Ekel und Zorn gehen mit stark aversiven Tendenzen einher, die gegen ein Zielobjekt gerichtet sind. Martha Nussbaum erklärt: „Der Ekel umfasst nicht direkt die Vorstellung einer unrechtmäßigen Handlung, doch bis zur Beschuldigung ist es häufig nicht weit.“

Der Ekel wird voll und ganz von der Fantasie beherrscht

Der verunreinigenden Person oder Gruppe wird es übelgenommen, dass sie es gewagt hat, Raum zu beanspruchen oder mit der sich abschottenden Person oder Gruppe in Kontakt zu treten. Auch wenn Ekel und Zorn nahe beieinander liegen, ist der Ekel voll und ganz von der Fantasie beherrscht, was für den Zorn in der Form nicht gilt. Dieser kann häufig begründet sein, womit Martha Nussbaum meint, dass all seine Elemente richtig sind – bis auf den Wunsch nach Vergeltung.

Zum Ekel gehört von Anfang an Fantasie; sein Kerngedanke lautet: „Wenn ich es vermeide, mit diesen an Tiere erinnernden Menschen in Berührung zu kommen, bewahre ich mich selbst davor, ein Tier zu sein bzw. zu werden.“ Dies ist natürlich Unsinn, wenngleich er den Menschen zu vielen Zeiten und an vielen Orten sehr wichtig gewesen ist. Weil sich der Ekel auf die Person richtet statt auf eine schlimme Tat, unterscheidet sich auch seine Handlungstendenz von der des Zorns: Die angeekelte Person ist auf Absonderung aus, nicht auf Vergeltung oder Abrechnung. Quelle: „Zorn und Vergebung“ von Martha Nussbaum

Von Hans Klumbies