Alle Emotionen sind auf ein Objekt gerichtet

Martha Nussbaum vertritt die Auffassung, dass sämtliche Emotionen mit einem Denken oder Wahrnehmen verbunden sind, das intentional auf ein Objekt gerichtet ist – als Gegenstand, welchen die Person, die die Emotion wahrnimmt oder sich vorstellt. Zugleich sind sie mit einer wertenden Beurteilung dieses Objekts verbunden, die der jeweilige Akteur aus seiner eigenen Perspektive wahrnimmt. Dabei gibt er dem Objekt in Bezug auf seine Ziele und Zwecke eine Bedeutung. Martha Nussbaum nennt ein Beispiel: „Darum trauern wir nicht wegen jedem Todesfall auf der Welt, sondern nur wegen dem Tod der Menschen, die uns in unserem Leben wichtig erscheinen.“ Diese Beurteilung muss nicht mit fertigen Überzeugungen verbunden sein, auch wenn dies häufig der Fall ist. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Die Angst vor dem Tod ist eine Hintergrundemotion

Diese Beurteilung muss nicht einmal mit Sprache verbunden sein oder auch nur mit Komplexität. Die meisten Tiere nehmen aus der Perspektive ihres Wohlbefindens zumindest einige Beurteilungen vor und haben folglich Emotionen. Dazu braucht es nicht mehr, als dass sie das Objekt – ein Stück Nahrung etwa – aus der Perspektive ihrer eigenen Bestrebungen und Ziele als gut ansehen. Ebenso können ganz kleine Kinder, die noch keine Sprache beherrschen, dennoch sehr viele Emotionen haben, weil sie bereits ein Gespür dafür besitzen, was gut für sie ist und was nicht und auf welche Weise Objekte und Geschehnisse jeweils dazu beitragen.

Manche Emotionen sind „situativ“ und an eine Reihe bestimmter Umstände geknüpft; andere sind „Hintergrundemotionen“, das heißt, sie bestehen im Gewebe des Lebens fort – wie etwa die Angst vor dem Tod, welche die meisten Menschen mit sich herumtragen –, können aber im Zusammenhang mit einem bestimmten Geschehen, etwa einer spezifischen Bedrohung für das eigene Leben, auch konkret werden. Hintergrundemotionen werden manchmal bewusst erlebt, allerdings nicht immer.

Gefühle zählen zu den nichtkognitiven Elementen der Emotionen

Die Angst vor dem Tod motiviert beispielsweise häufig ein Verhalten, ohne dass sie Gegenstand bewusster Wahrnehmung wäre. Zu den nichtkognitiven Elementen in den Emotionen zählt Martha Nussbaum zum Beispiel Gefühle und körperliche Zustände. Sie argumentiert, dass diese nichtkognitiven Elemente nicht die Beständigkeit und gesetzmäßige Verbindung mit dem betreffenden Emotionstyp aufweisen, die notwendig wären, um sie in die Definition einer Emotion bestimmten Typs aufzunehmen.

Selbst bei einer so einfachen Emotion wie der Angst, die zwar oftmals mit einer Art Schaudern oder Zittern verbunden ist, gibt es zahllose Gegenbeispiele – einschließlich der Angst vor dem Tod. Die meisten Menschen haben diese Angst die meiste Zeit über auf psychisch reale und motivationsstarke Weise, doch in der Regel sind sie sich keines Schauderns oder Bebens bewusst. In diesem Fall gibt es also nicht nur kein einziges Gefühl, sondern manchmal überhaupt kein bewusstes Gefühl. Quelle: „Zorn und Vergebung“ von Martha Nussbaum

Von Hans Klumbies