Bei der Dankbarkeit handelt es sich in vielerlei Hinsicht um eine rückwärtsgewandte Cousine des Zorns. Dennoch argumentiert Martha Nussbaum, dass sie in vertrauten Beziehungen wertvoll sein kann, weil sie hilft, das gegenseitige Wohlwollen zu festigen, um das es den Partnern in solchen Beziehungen richtigerweise geht. Dennoch gilt: So wie ein Mensch aufgrund der mannigfachen Verletzungen und Demütigungen, die ihm in so vielen Zusammenhängen des täglichen Lebens widerfahren, nicht wütend werden sollte, so soll er auch keine Dankbarkeit empfinden, wenn andere Menschen dafür sorgen, dass diese Dinge gut verlaufen. Martha Nussbaum weiß: „Eine solche Emotion verrät eine zu starke Abhängigkeit von äußeren Gütern.“ Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.
Die Dankbarkeit ist nicht vom magischen Denken infiziert
Die Dankbarkeit ist nicht genau symmetrisch zum Zorn zu verstehen. Erstens umfasst sie den Wunsch, jemandem Gutes zu tun, der weniger problematisch scheint als das wütende Übelwollen und sie ist von angenehmen Empfindungen begleitet, die sich nicht negativ auf das Wohlwollen auswirken – im Gegensatz zu schmerzhaften Empfindungen, die das häufig und in starkem Maße tun. Zweitens scheint die Dankbarkeit nicht vom magischen Denken infiziert zu sein: Der dankbare Mensch stellt sich nicht vor, dass er die Vergangenheit ändern kann, wenn er jemandem, der ihm geholfen hat, einen Nutzen verschafft.
Viele Menschen gewöhnen sich häufig an die unangenehmen Dinge, die das Reisen und das alltägliche Miteinander in anderen Zusammenhängen bereithalten. Um den Zorn auf stoische Weise zu vermeiden, reduzieren sie im Regelfall die eigenen Erwartungen an den Verlauf dieser Interaktionen. Wenn dann etwas wirklich Schönes passiert, ist es überraschend und erfreulich. Vielleicht ist es vollkommen in Ordnung, wenn man jähe Freude empfindet und sich diese Freude mit dem Gedanken verbindet, dass die Person, die sich einem selbst gegenüber so gut verhalten hat, im Gegenzug einen Gefallen verdient.
Manchmal ist der Zorn nur schwer zu unterdrücken
Kollegen können einen angenehm überraschen. Weil viele von ihnen die reinsten Kinder sind und viele Probleme der Arbeit mit ihnen darauf beruhen, erinnert Martha Nussbaum daran, dass Kinder auch beglücken und erfreuen. Die Arbeitswelt ist mit Beziehungen verbunden, die begrenzt sind. Im Unterschied zu vertrauten Beziehungen gehen sie mit keinem Vertrauen tieferer Art einher, sondern lediglich mit Verlässlichkeit. Sie betreffen jedoch äußerst wichtige Angelegenheiten, weshalb es sinnvoll und nützlich ist, moralische Empfindungen zu fördern, die das Leben aller in die richtigen Bahnen lenken.
Manchmal ist der Zorn nur schwer zu unterdrücken, wie selbst der Stoiker Seneca zugibt, der selbst immer wieder zornig wurde, selbst noch nach Jahren intensiver Selbstbeobachtung. Seneca erinnert die Menschen jedoch auch daran, dass man viel tun kann, um sich selbst vor diesen Anfechtungen zu schützen. So sollte sich ein Mensch beispielsweise mit Leuten umgeben, die keine negativen Emotionen bei ihm auslösen, und dies lässt sich zumindest manchmal bewerkstelligen. Allgemeiner gesagt, kann man versuchen, Situationen, in denen man provoziert wird, aus dem Weg zu gehen. Quelle: „Zorn und Vergebung“ von Martha Nussbaum
Von Hans Klumbies