Aus den Grundrechten folgen auch Pflichten

Für den Philosophen Markus Gabriel ist die heutige Wertekrise zugleich eine Krise der Demokratie. Wer den Universalismus beschädigt, wendet sich gegen die Idee, dass eine Gemeinschaft darauf aufbaut, dass alle Menschen den gleichen Wert besitzen. Schon allein deshalb haben sie bestimmte Rechte und Pflichten. Markus Gabriel erläutert: „Dazu gehören das Recht auf freie Entfaltung unserer Persönlichkeit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Außerdem gehören dazu die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Recht darauf vor Gericht nicht aufgrund von Geschlecht, Sprache, Herkunft, Einkommen usw. benachteiligt zu werden. Gerne übersieht man, dass aus den Grundrechten auch Pflichten folgen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Moralische Tatsachen sind in sich selbst begründet

Jeder hat das Recht, dass man ihn nicht durch rassistische Stereotype oder Homophobie benachteiligt. Allerdings entsteht dadurch die Pflicht, niemand anderen auf diese Weise zu diskriminieren. Die Grundrechte sollen einer Person zu seinen Menschenrechten verhelfen. Zu den Menschenrechten gehört vieles, was rechtlich nicht kodifiziert ist. Markus Gabriel nennt als Beispiele das Recht auf Wohnraum, das Recht auf Umweltschutz und das Recht auf Freizeit und eine Rente.

Zu den Menschenrechten gehört alles, was dafür sorgt, dass man in einer solidarischen Gemeinschaft leben kann. Deren Ziel ist es, moralischen Fortschritt und Kooperation zu begünstigen. Moralische Tatsachen sind weder in Gott noch in der allgemeinen Menschenvernunft noch in der Evolution begründet. Sie sind allein in sich selbst begründet. Wie viele andere Tatsachen auch, bedürfen sie keiner Begründung. Sondern sie benötigen eine Erkenntnis, die es erlaubt, ihre Konturen zu erfassen.

Totalitäre Regime bauen auf häuslicher Gewalt auf

Es gibt moralische Selbstverständlichkeiten. Beispielsweise soll niemand ein Neugeborenes quälen. Niemand, egal in welchem Land ein Mensch lebt, wird ernsthaft daran zweifeln. Es gibt viele solcher moralischen Selbstverständlichkeiten, die alle Menschen sofort einsehen. Man verliert das aber leicht aus dem Blick, weil man sich in moralischen Fragen meistens mit schwierigen, komplexen moralischen Problemen beschäftigt. Und gerade in denen scheinen Gemeinschaften voneinander abzuweichen.

Markus Gabriel erklärt: „Es gibt keinen moralischen Algorithmus, keine Regel und kein Regelsystem, das alle moralischen Probleme ein für alle Mal abhandelt.“ Bis vor kurzen dachten viele Menschen, es sei völlig in Ordnung, Kinder körperlich zu züchtigen. Körperliche Züchtigung ist zwar unangenehm, aber sinnvoll. Doch in der Moderne hat die Wissenschaft bewiesen, dass körperliche Züchtigung die Kinder traumatisiert. Und dass Gewalt und Grausamkeit in der Familie sogar eine wichtige Grundlage für totalitäre Regime sind. Denn diese bauen auf häuslicher Gewalt auf. Quelle: „Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies