Markus Gabriel verteidigt den freien Willen

Von den Naturwissenschaften ausgehend hat sich in den letzten Jahren ein Neurozentrismus herausgebildet, der auf der Annahme basiert, dass Ich gleich Gehirn ist. Der Philosoph Markus Gabriel hegt in seinem neuen Buch „Ich ist nicht Gehirn“ begründete Zweifel, dass sich Menschen auf diese Weise selbst erkennen können. Der Autor kritisiert den Neurozentrismus scharf, stellt eine neue Verteidigung des freien Willens vor und gibt eine zeitgemäße Anleitung zum philosophischen Nachdenken über das eigene Selbst. Die Erkenntnisse, die er dabei gewinnt, sind teilweise sehr überraschend. Schon der scheinbar so selbstverständlichen Umstand, dass Menschen geistige Lebewesen sind, die ein bewusstes Leben führen, wirft unzählige Rätsel auf. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Markus Gabriel nimmt die Perspektive des Antinaturalismus ein

Der Zweig der Philosophie, der sich mit dem Menschen als geistiges Lebewesen beschäftigt, heißt „Philosophie des Geistes“. Zunächst stellt Markus Gabriel in seinem Buch „Ich ist nicht Gehirn“ einige Hauptüberlegungen der Philosophie des Geistes anhand zentraler Begriffe dar, zu denen Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Ich gehören. Sie bilden die Grundlage für die zweite Hauptabsicht dieses Buches: „Die Verteidigung unserer Freiheit (unseres freien Willens) gegen die landläufige Vorstellung, irgendjemand oder irgendetwas würde uns hinter unserem Rücken unfrei machen – sei es Gott, das Universum, die Natur, das Gehirn oder die Gesellschaft.“

Menschen sind laut Markus Gabriel durch und durch frei, weil sie geistige Lebewesen sind. Die Herausforderung der Gegenwart liegt seiner Meinung nach in der Verwissenschaftlichung des Menschenbildes. Im vorliegenden Buch eröffnet Markus Gabriel auf allgemeinverständliche Weise neue Ausrichtungen für die Philosophie des Geistes, indem er an alte Einsichten anknüpft. Er nimmt da bei die Perspektive des Antinaturalismus ein, das heißt, er geht davon aus, dass nicht alles, was es gibt, in Wirklichkeit naturwissenschaftlich untersuchbar beziehungsweise materiell ist.

Der größte Feind des Menschen ist der Mensch

Markus Gabriel sagt also, dass es immaterielle Wirklichkeiten gibt und hält dies eigentlich für eine jedem zugängliche Einsicht des gesunden Menschenverstandes. Als Beispiel nennt der Autor die Freundschaft. Eine Hauptschwäche der Annahme, Menschen könnten ihr Ich mit dem Gehirn identifizieren, liegt darin, dass es dadurch schnell so aussieht, als ob das Gehirn ein Ich und eine Außenwelt nur vorgaukelt, da Menschen eigentlich nicht die Wirklichkeit selber, sondern nur die mentalen Bilder erkennen können, die sich das Gehirn von ihr macht. Dementsprechend wäre das gesamte geistige Leben eine Art Illusion oder Halluzination.

Der wahre Fortschritt besteht für Markus Gabriel nicht im illusorischen Ideal der Überwindung von Geist und Mensch, sondern darin, die moralische und rechtliche Ordnung im Licht der menschlichen Einsichten zu verbessern. Der größte Feind des Menschen laut Markus Gabriel immer noch der Mensch, und dies vermiest vielen die einzige Aussicht, die wir Menschen haben: dieses Leben, das wir gerade leben. Es gibt keinen Grund, auf eine utopische Zukunft zu setzen: „Wir sind hier und jetzt und das ist alles.“

Ich ist nicht Gehirn
Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert
Markus Gabriel
Verlag: Ullstein
Gebundene Ausgabe: 349 Seiten, Auflage: 2015
ISBN: 978-3-550-08069-2, 18,00 Euro

Von Hans Klumbies