Marieluise Fleißer schreibt Dramen über die Provinz

Im Zentrum der Romane von Marieluise Fleißer stehen Mädchen, die von den Männern zerbrochen und weggeworfen wurden. Es ist eine brutale Welt mit klaren Verhältnissen. Zwei Dramen machen die Schriftstellerin Ende der zwanziger Jahre über Nacht berühmt und sorgen für Literaturskandale: „Pioniere in Ingolstadt“ und „Fegefeuer in Ingolstadt“. Bertolt Brecht, den Marieluise Fleißer leidenschaftlich liebte, der sie aber rücksichtslos verstieß, war für sie der Obertyrann. Das immer wieder kehrende Leitmotiv ihrer Geschichten ist die Unterlegenheit der Frau gegenüber dem männlichen Geschlecht. Doch als Schriftstellerin war Marieluise Fleißer ganz und gar nicht unterlegen: Sie verfügte über einen aggressiven, sezierenden Blick auf die Welt und über eine großartige, theatralische Phantasie.

Marieluise Fleißer wird erst in hohem Alter für ihr Werk gewürdigt

Die Figuren in ihren Geschichten sind entweder wie gefährliche, aggressive oder defensive, schutzbedürftige Tiere angelegt. Zu den erstgenannten zählen Hunde, Haie, Panther und Bären. Zu den bedrohten gehören die Lämmer und die Ziegen, die sich in ihren Frauenrollen widerspiegeln. Von der eigenen Generation verkannt, übernahmen erst ihre Enkel wie Rainer Werner Fassbinder, Franz Xaver Kroetz oder Martin Sperr ihren Kunstdialekt, den sie in Experimenten entwickelt hatte.

Marieluise Fleißer erntete erst in hohem Alter den Ruhm, der ihr in jungen Jahren versagt geblieben war. Sie wurde in die Bayerische Akademie der Schönen Künste aufgenommen und durfte die Villa Massimo in Rom besuchen. Einen späten Triumph erlebt Marieluise Fleißer im Jahr 1972, als ihr Stück „Fegefeuer in Ingolstadt“ in der Berliner Volksbühne aufgeführt wird. Damals gehörte das Ensemble zum Besten, was die Bundesrepublik zu bieten hatte. Regie führte damals der geniale Regisseur Peter Stein.

Im selben Jahr erschienen im Suhrkamp Verlag ihre gesammelten Werke. Dies noch zu erleben, war für sie ein besonders beglückendes Ereignis. Neben den Ingolstädter-Dramen zählen zu den bekanntesten Büchern von Marieluise Fleißer die Erzählungen „Ein Pfund Orangen“, „Abenteuer aus dem Englischen Garten“ und „Avantgarde“.

Kurzbiographie: Marieluise Fleißer

Marieluise Fleißer wurde am 23. November 1901 in Ingolstadt geboren. Der Vater ermöglichte ihr eine Bildung, die in dieser Zeit, in der bayerischen Provinz, für eine Frau, noch die große Ausnahme war. Sie besuchte in Regensburg das Mädchenrealgymnasium. Durch das Leben der bayerischen Schriftstellerin ziehen sich zwei roten Fäden: Freiheit und Gefangenschaft. Das Lebensthema ist aus Ingolstadt fliehen wollen – in Ingolstadt bleiben müssen. 1919 brach sie aus der Provinz aus. Sie ging nach München, um dort zu studieren.

In München begegnete sie Lion Feuchtwanger, der sie mit der Literaturszene der Stadt bekannt machte. Mitte der zwanziger Jahre lernte sie Bertolt Brecht kennen, in den sie sich unsterblich verliebte und als schriftstellerisches Ideal vergötterte. Nach einem Theaterskandal im Jahr 1929 verstieß Bertolt Brecht seine Geliebte und Mitarbeiterin Marieluise Fleißer. 1932 kehrte sie nach Ingolstadt zurück, obwohl sie in ihrer Heimatstadt als unerwünschte Person galt. Während der Naziherrschaft des Dritten Reichs durften ihre Bücher nicht veröffentlicht werden. Marieluise Fleißer starb am 2. Februar 1974.

Von Hans Klumbies

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