Angst, Wut, Trauer und Hass gehören zu den klassischen Kandidaten für die Kategorie negativer Emotionen, die jeder Mensch in unterschiedlicher Form und Ausprägung sehr wahrscheinlich alle persönlich kennt, aber kein besonderes Verhältnis zu ihnen hat. Maren Urner fügt hinzu: „Stärker noch: Wir verwenden häufig einen großen Teil unserer Lebenszeit darauf, uns nicht zu intensiv mit ihnen zu beschäftigen zu müssen, geschweige denn, sie zu spüren.“ Wir bauen Häuser, ziehen Grenzen und schließen Verträge, um der Angst vor Kälte, Fremden und Verlusten zu begegnen. Wir geben uns zwei bis drei Tage, um zu trauern, wissen nicht so richtig, wohin mit Schmerz, Wut und Langeweile, und betäuben sie mit den unterschiedlichsten Formen der Unterhaltung und Ablenkung. Dr. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.
Zugelassene negative Emotionen lassen sich kontrollieren
Wie kann es sein, dass wir so viel Energie, Zeit und Ressourcen darauf verwenden, unsere „negativen“ Emotionen nicht zu spüren, und uns dadurch gar nicht gut fühlen? Maren Urner erklärt: „Oft gestehen wir der Vermeidung negativer Energien mehr Raum zu als ihrem möglichen Dasein, würden wir sie einfach willkommen heißen.“ Eine gewisse Sonderstellung hat der Hass, den wir häufig gar verbieten und ihn doch so vieles regieren lassen. Aber auch beim oft sogar öffentlich geäußerten Hass geht es darum, dass eine ehrliche, radial aufmerksame Auseinandersetzung mit der eigenen Gefühlslage zuvor nicht stattgefunden hat.
So ist der auf ein Individuum oder Gruppen gerichtete Hass meist Folge einer mindestens mangelhaften Auseinandersetzung mit anderen „negativen“ Emotionen wie Angst, Schmerz und Unsicherheit. Maren Urner betont: „Lassen wir unsere scheinbar negative Emotion zu, passiert etwas Unerwartetes: Wir spüren die Emotion nicht nur, sondern können sich auch viel besser kontrollieren. Indem wir sie beschreiben, uns fragen, wer oder was die jeweilige Emotion ausgelöst haben könnte, und in letzter Konsequenz, was wir angesichts dieser Emotion eigentlich gerade brauchen.“
Schlechte Emotionen können manchmal sogar gut sein
Maren Urner hinterfragt, ob es so was wie „negative“ Emotionen tatsächlich gibt. Das ist nicht unproblematisch, denn längst hat sich eine gewisse Kultur gegen die „Tyrannei der Positivität“ entwickelt, die sich bewusst gegen die ständigen „Feel-Good“-Slogans und „Happiness-Kurse“ richtet. So legt die südafrikanische Psychologin Susan David im Rahmen ihres Konzepts der emotionalen Agilität entsprechend dar, warum schlechte Emotionen gut seien.
Kann Maren Urner irgendjemand schlüssig erklärten, warum wir als Menschen und Gesellschaft ständig versuchen, gesund, erfolgreich und resilient zu sein, und dafür offensichtlich Strategien verwenden, die genau das Gegenteil bewirken? Das ist die Definition von Wahnsinn! Zugegebenermaßen klingt die tiefe und ständige Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen ziemlich anstrengend, oder? Ja, es hat Gründe, dass wir uns ein Vermeidungsverhalten angeeignet haben – doch das bedeutet nicht, dass es uns guttut oder unserer Natur entspricht. Quelle: „Radikal emotional“ von Maren Urner
Von Hans Klumbies
