Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Hochvermögende, die sich stark mit ihrem Geld gesellschaftlich engagieren. Die Philanthropie hat hierzulande nicht die gleiche Bedeutung wie in den USA und anderen Ländern. Auch weil das deutsche Steuer- und Sozialsystem bei vielen die Erwartungen an den Staat, er möge sich um soziale Belange kümmern, viel stärker schürt, als dies in den USA der Fall ist. Kinder haben ein Anrecht – moralisch wie rechtlich – auf das Vermögen ihrer Eltern, die ihren Kindern nur in Ausnahmefällen das Vermögen komplett verwehren können. Marcel Fratzscher weiß: „Das öffentliche Zeigen von Reichtum wird in unserer Gesellschaft eher als despektierlich empfunden. Die Weitergabe eines großen Vermögens als Erbe wird jedoch als Lebensleistung anerkannt.“ Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Erbschaften sind nicht immer ein Segen für die Erbenden
Es gibt einige belastende Belege für die US-amerikanische These, dass eine Erbschaft nicht immer ein Segen für die Erbenden ist. Für Deutschland zeigt das beeindruckende Buch von Julia Friedrich „Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht“, dass ein Erbe für viele zur Belastung wird. Zudem belegen wissenschaftliche Studien, dass die eigenen Kinder nicht oder nur in den seltensten Fällen die besten Manager sind, um das Familienerbe – oder -unternehmen zum Erfolg zu führen.
Was ist die Ursache für die hohe Bedeutung von Erbschaften in der deutschen Gesellschaft? Marcel Fratzscher betont: „Ein zentraler Grund ist unser Gesellschaftsvertrag, der einen großen Wert auf Solidarität innerhalb der Familie und zwischen den Generationen legt. Und er stammt aus einer Zeit, in der es praktisch keinen Sozialstaat gab, Solidarität also fast ausschließlich innerhalb der Familie und nicht innerhalb der Gesellschaft verstanden wurde.“ Deutschland war auch das erste Land, das vor fast 130 Jahren eine Rentenversicherung eingeführt hat, um die Lebensgrundlage für die ältere Generation sicherzustellen.
Die Höhe der Erbschaften ist in Deutschland deutlich gestiegen
Marcel Fratzscher stellt fest: „Das Bemerkenswerteste hinsichtlich des Ursprungs der privaten Vermögen ist, dass über die Hälfte davon, heute nicht mehr mit eigener Hände Arbeit erwirtschaftet wird, sondern geerbt oder geschenkt ist.“ Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) unterstreichen die Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen in der deutschen Gesellschaft. In den vergangenen 15 Jahren hatten zehn Prozent aller Erwachsenen das Glück, eine Erbschaft oder größere Schenkung zu erhalten.
Vor allem in den letzten Jahren ist die Höhe der Erbschaften deutlich gestiegen. Betrug die durchschnittliche Erbschaft in den Jahren 1986 bis 2001 noch preisbereinigt 72.000 Euro, so stieg sie auf 85.000 Euro in den Jahren 2002 bis 2017. Marcel Fratzscher ergänzt: „Erbschaften und Schenkungen sind zudem von der Größe her sehr ungleich verteilt. Die Hälfte aller Erbschaften beträgt weniger als 33.000 Euro.“ Dass dieser sogenannte Median so viel niedriger ist als der Durchschnitt, heißt, dass einige wenige große Beträge erben. Quelle: „Geld oder Leben“ von Marcel Fratzscher
Von Hans Klumbies