Beim Lernen kommt es auf die Tiefe der Verarbeitung an

Seit mehr als vier Jahrzehnten erforschen Lern- und Gedächtnispsychologen die Tiefe der Verarbeitung eines Sachverhalts. Je tiefer dieser im Gehirn verarbeitet wird, desto besser wird er im Gedächtnis gespeichert. Manfred Spitzer erklärt, dass die Forscher lange Zeit annahmen, dass es beim Lernen darauf ankomme, Inhalte in sogenannte Speicher zu füllen. Die Wissenschaftler unterschieden Ultrakurzzeitspeicher, Kurzzeitspeicher und Langzeitspeicher. Zum Untersuchungsgegenstand gehörte auf die Frage, wie man Sachverhalte vom Kurzeitspeicher in den Langzeitspeicher übertragen kann. Daneben gibt es laut Manfred Spitzer aber noch eine ganz andere Art, sich über das Gedächtnis Gedanken zu machen. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen „Lernen“ und „Vorsicht Bildschirm!“.

Intensives Nachdenken stärkt die Erinnerung

Manfred Spitzer erklärt, dass im Gehirn die Verarbeitung und das Speicher eines Sachverhalts letztlich ein und dasselbe sind. Er schreibt: „Dadurch, dass ein Sachverhalt verarbeitet wird, also in unserem Gehirn Impulse über Synapsen von Neuron zu Neuron gesendet werden, ändern sich diese Synapsen, und der Inhalt wird damit auch gelernt.“ Wie viele Neuronen und Synapsen mit einem Sachverhalt beschäftigt sind, hängt seiner Meinung nach allerdings von der Verarbeitungstiefe ab.

Zum Beispiel zeigen Experimente, dass sich Menschen umso besser an ein Wort erinnern können, je intensiver sie über es nachdenken mussten. Wenn Informationen im Gehirn verarbeitet werden, verändern die Synapsen ihre Stärke, und dieses Wachstum ist gemäß Manfred Spitzer letztlich darauf zurückzuführen, was man gemeinhin Lernen nennt. Er fügt hinzu: „Nun wird nicht alles im Gehirn überall erledigt; es gibt vielmehr Zentren für das Sehen, Hören, Tasten, Sprechen, Planen und vieles mehr.“

Allein beim Sehen sind mehrere Dutzend Gehirnzentren aktiv

Genau genommen, beruht sogar jede einzelne dieser Funktionen gemäß Manfred Spitzer auf dem Zusammenspiel von wenigen bis zu mehreren Dutzend solcher Zentren. Als Beispiel nennt er das Sehen, bei dem nicht nur das Sehzentrum, sondern auch mehrere Dutzend andere Zentren aktiv sind. Zwei Zentren sind beispielsweise zuständig für das Farbempfinden, eines für die Wahrnehmung von Bewegungen, ein weiteres für das Erkennen von Gesichtern und wieder ein anderes für das Lesen von Buchstaben.

Einerseits werden die Zentren durch entsprechende äußere Reize aktiviert, andererseits ist den Forschern zudem bekannt, dass es auch von der Aufmerksamkeit eines Menschen abhängt, wie aktiv diese Zentren sind. Manfred Spitzer erläutert: „Wenn wir auf etwas Bestimmtes achten – man spricht auch von selektiver Aufmerksamkeit –, werden die jeweils zuständigen Zentren aktiviert; sie funktionieren dann besser und liefern auch bessere Ergebnisse.“ Eine besondere Aufmerksamkeit auf Sachverhalt führt außerdem dazu, dass ein Mensch ihn optimal abspeichert.

Von Hans Klumbies