In fast jeder Organisation bestimmt die Macht den Alltag

Der Mensch und die Macht, das kann mitunter ein sehr schwieriges und kompliziertes Verhältnis sein. Sie kann Wunder bewirken und man braucht sie, um etwas zu gestalten oder zu bewegen. Doch die Macht ist oft flüchtiger, als derjenige glaubt, der sie zu besitzen meint. Sie ist wie das Aufputschende im Kaffee, kann ihren Besitzer beflügeln und ihm ungeahnte Kräfte verleihen. Aber sie kann auch einsam oder süchtig machen. Jeder, der andere Menschen führt, hat schon diese Erfahrung machen müssen. Die Kunst besteht darin, die Macht mit Umsicht einzusetzen. Denn eines vergessen viele Menschen, wen sie einmal in eine Machtposition gelangt sind, allzu schnell: Macht ist in der Regel nur auf Zeit geliehen. Und schon gar nicht in Deutschland hat die Macht einen guten Ruf.

Macht kann auch beschützend und umsorgend sein

Wer Macht erringt, übernimmt Verantwortung, und damit etwas Wichtiges, aus dem etwas Großes hervorgehen kann. Der Mächtige kann denjenigen, die ihm anvertraut sind, jene Basis der Sicherheit bieten, vor der aus sie sich in die Welt wagen, experimentieren und im Idealfall über sich hinauswachsen. Besonders viel Macht hat derjenige, der Menschen beeinflusst, ohne seine Macht auszunutzen. Allein ein gutes Vorbild kann manchmal schon sehr machtvoll sein. Die Ärztin und Psychotherapeutin Ursula Schütze-Kreilkamp, die die Personalentwicklung der Deutschen Bahn leitet, fügt hinzu: „Macht kann auch beschützend und umsorgend sein.“

In fast jeder Organisation bestimmt die Macht den Alltag. Funktionsträger erhalten sie, wenden sie an und verlieren sie wieder, ohne jemals groß darüber nachzudenken. Ursula Schütze-Kreilkamp erklärt: „Macht prägt das Klima, aber sie wird tabuisiert.“ Und das ist keineswegs verwunderlich. Denn Menschen, die Macht um ihrer selbst willen lieben, möchten die Aura der Macht mit ihren vielen Insignien genießen, die einem unsichtbaren Kokon gleicht, der den Mächtigen wie ein Schutzanzug umhüllt und gleichzeitig eine magnetische Wirkung ausübt.

Die Macht umfasst niemals alle Bereiche des Lebens

Diejenigen hingegen, die sich Führung als Partnerschaftsmodell vorstellen, leugnen gerne die Asymmetrie, die Machtbeziehungen kennzeichnet. Die Macht lockt auch viele falsche Freunde an, und was zunächst wie ein Geschenk daherkommt, kann sich gelegentlich zu einer schweren Bürde entwickeln. Plötzlich werden dem Mächtigen auch wichtige Informationen vorenthalten. Shalom Saada Saar vom amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat dies besonders oft in Deutschland beobachtet: „In der deutschen Unternehmenskultur ist es schwer, Menschen mitzuteilen, was ich denke. Je weiter jemand in einer Organisation aufsteigt, desto stärker wird Feedback gefiltert, ist unehrlich, wird manipuliert.“

Macht erstreckt sich niemals auf alle Lebensbereiche. Spätestens im Angesicht des Todes wird auch der Mächtigste demütig. Shalom Saada Saar erläutert: „Kontrolle ist eine Illusion. Wir steuern nicht sehr viel. Wir können nur steuern, wie wir selbst auf eine Situation reagieren. Soziologen unterscheiden zwischen Macht und Autorität. Macht wird einem Menschen verliehen. Man bekommt sie meist durch ein Amt. Und ebenso schnell kann sie verschwinden. Autorität hingegen muss sich ein Mensch erwerben. Wer allein Macht hat und keine Autorität, wird seine Ziele nur in den seltensten Fällen erreichen. Wer dagegen Autorität besitzt, auch ohne formale Macht, kann trotzdem sehr erfolgreich sein. Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies