Die Gesellschaftsdichtung dominiert im 17. Jahrhundert

Für die Dichtung des 17. Jahrhunderts gilt zunächst einmal bei aller Differenzierung im Einzelnen, dass es sich um Gesellschaftsdichtung handelt. Der gesellschaftliche Grundcharakter der Literatur dieser Epoche wird besonders deutlich bei den Gelegenheitsdichtungen, den Casualcarmina, die, obschon von den Poetikern der Zeit häufig angegriffen, massenhaft entstehen und den Menschen von der Wiege bis zur Bahre begleiten. Zwar erkennt man die Problematik einer derartigen Massenproduktion auf Bestellung, doch tut das der an gesellschaftlichen Konventionen orientierten Praxis keinen Abbruch. Der Auftrag als Voraussetzung der Produktion, in der bildenden Kunst und der Musik seit je fraglos akzeptiert, charakterisiert aber nicht nur die Casualcarmina, sondern steht auch hinter anderen Literaturgattungen, ob es sich um anlassgebundene religiöse Dichtung, um das pädagogisch und religiös motivierte Schul- und Jesuitendrama oder um höfische Festspieldichtung handelt.

Die deutschen Dichter gehörten dem Gelehrtenstand an

Schon der rhetorische Grundcharakter der Literatur im 17. Jahrhundert und ungebrochene Gültigkeit der auf Horaz zurückgehenden Forderung, dass der Poet mit der Lieblichkeit und Schönheit den Nutzen verbinde, verweisen auf ihre Öffentlichkeit. Die Dichtung soll lehrhaften Zwecken dienen und zu einem tugendhaften Leben anleiten. Die Lehre von dem, was zu tun oder zu lassen sei, umfasst mehr als allgemeine ethische Anweisungen oder Kataloge christlicher Tugenden. Die Vermittlung ethischer Normen, die Anleitung zur Tugend, schließt gesellschaftliche und politische Verhaltensweisen ein.

Das Prinzip der Tugenderfüllung stellt ein wirksames Mittel der Disziplinierung der Bevölkerung dar, und die Poesie hilft, indem sie zur Tugend anhält, Ruhe und Ordnung in der ständisch gegliederten Gesellschaft zu bewahren. Bis auf wenige Ausnahmen, darunter Grimmelshausen, gehörten die bürgerlichen deutschen Dichter dem Gelehrtenstand an. Sie alle hatten in ihrer Universitätsausbildung die Artistenfakultät durchlaufen, waren also mit Rhetorik und Poetik vertraut und hatten somit die gelehrte philologische Vorbildung erworben.

Im 17. Jahrhundert gab es noch keine freien Schriftsteller

Auch immer mehr Adlige betätigten sich literarisch und gingen dabei von den gleichen gelehrten Bildungsvoraussetzungen aus wie die Autoren bürgerlicher Herkunft. Zwar bezeichneten sich besonders Aristokraten ihre Dichtungen gern als Nebenwerk, doch auch für nichtadelige Autoren war das Dichten keineswegs Beruf. Die Autoren lebten als Geistliche, Universitätsprofessoren, Ärzte, Stadt-, Landes- oder Hofbeamte; sie waren keine freien Schriftsteller. Frauen fanden in diesem Umfeld nur recht beschränkte Entfaltungsmöglichkeiten.

Denn sie waren ausgeschlossen von öffentlicher Lateinschul- und Universitätsbildung und waren so auf private Erziehung und eine an Bildung interessierte Umgebung angewiesen. Auf diese Bedingungen konnten am ehesten die Töchter kulturbewusster Adels-, Patrizier- und Gelehrtenfamilien hoffen. Die Fürsten waren auf die Leistungen der Gelehrten und Dichter angewiesen, nicht nur wegen ihrer Begier nach Unsterblichkeit. Auch die kulturpatriotischen Ziele, die einige der Fürsten mit den Dichtern teilten, waren ohne deren fachliche Kompetenz nicht zu verwirklichen. Quelle: „Deutsche Literaturgeschichte“ aus dem Verlag J. B. Metzler

Von Hans Klumbies