Die wichtigste Aufgabe eines neuen – mancherorts nennt man ihn schon digitalen – Humanismus muss sein, nicht nur das Lebendige vor der Maschine zu schützen, sondern auch zu erkennen, was das menschliche Tier der Maschine überlegen macht. Lisz Hirn erklärt: „Die Arbeitsleistung ist es jedenfalls nicht. Viel eher werden wir das Recht auf Arbeit künftig durch ein Gebot zu Faulheit ersetzen müssen, wenn wir der unbarmherzigen Barbarei unseres Konsumkapitalismus oder dem gnadenlosen Wettbewerb mit den Gerätschaften maschinellen Denkens entkommen wollen.“ Diese Erkenntnis ist aus mindestens zwei Gründen wichtig: zum einen, weil sich die Menschheit mittels ihrer maschinellen Erfindungen, wie der Atombombe, selbst vernichten könnte, wie man seit Mitte des 20. Jahrhunderts schmerzlich weiß. Lisz Hirn arbeitet als Publizistin und Philosophin in der Jugend- und Erwachsenenbildung, unter anderem am Universitätslehrgang „Philosophische Praxis“.
Das Denken über das Denken hat sich im Abendland als Logik entfaltet
Zum anderen könnte sich die Menschheit auch mittels transhumanistischer Interventionen selbst unterminieren. Wenn Martin Heidegger darauf hinweist, dass sich das Denken über das Denken im Abendland als Logik entfaltet hat, dann möchte er nicht die Wissenschaft und die Technik verdammen, sondern lediglich ihre uneingeschränkte Interpretationshoheit der Wirklichkeit infrage stellen. Lisz Hirn ergänzt: „Das europäische Projekt der Aufklärung ist in eine technische Rationalität und eine technologische Zivilisation ausgeartet.“
In dieser hat sich die zur Berechnung verkommene Vernunft sowohl von der Natur als auch von der Wahrheit abgekoppelt, um sich in den Dienst des Machtwillens zu stellen. Lisz Hirn erläutert: „Das eigentlich Politische, das Ungerechte und das Gerechte zu adressieren, lässt sich aber weder berechnen noch simulieren. Es trifft den lebendigen Einzelnen, deshalb kann es im technokratischen Denken weder Bedeutung noch Platz haben.“ Die Folgen der digitalen Revolution kratzen nicht nur am Interface, an der Schnittstelle unseres Selbst und des jeweiligen Geräts.
In der virtuellen Welt überwuchert das Private plötzlich den gesamten Raum
Lisz Hirn stellt fest: „Die grassierende Digitalisierung verändert nicht nur unser Verhältnis zu Zeit und Raum, sie verändert auch unser Verständnis vom menschlichen Lebewesen als wesentlich sozialem.“ In der virtuellen Welt verschwimmen nicht die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem, vielmehr überwuchert das Private plötzlich den gesamten Raum. Corine Pelluchon schreibt: „Falls die Menschen zu der Überzeugung gelangen, die virtuellen Blasen repräsentieren die Gesellschaft oder das Volk wird die politische Gemeinschaft zerstört sein.“
Corine Pelluchon fährt fort: „Wenn sie sich zu dieser oder jener Politik äußern sollen, wird es ihnen nicht gelingen, anders als in Feind-Freund-Kategorien zu denken.“ Wobei dieses „Wir“ ebenso wenig real ist wie das feindliche „Ihr“, das simuliert wird. Eine Party von Robotern mit künstlicher Intelligenz ergibt keinen Sinn, ebenso wenig wie Politik mit künstlichen Intelligenzen. Auch das gemeinsame Meinungsfest wird online nur vorgetäuscht. Ein Fest ist an die Gemeinschaft sinnlicher Wesen gerichtet. Quelle: „Der überschätzte Mensch“ von Lisz Hirn
Von Hans Klumbies
