Nur die Bildung führt zu einem voll erblühten Menschsein

Die platonische Lebenskunst ist keine Ethik des Willens, sondern des Verstehens. Es geht ihr nicht darum, den Willen des Menschen auf bestimmte Werte oder Normen zu lenken, sondern sie lädt ein, auf umfassende, ganzheitliche und existenzielle Weise zu verstehen, was es im eigentlichen Sinne bedeutet, ein lebendiger Mensch zu sein. Christoph Quarch erläutert: „Der Weg dorthin ist kein religiöser Weg der Askese oder Unterwerfung und auch kein Weg utilitaristischer Nutzenkalküle oder zweckrationaler Strategien.“ Es ist vielmehr der Weg der Bildung. Man kann ihn als ein Programm der Kultivierung der im Menschen latenten Anlage zum voll erblühten Menschsein beschreiben, keineswegs aber als ein methodisch-technisches Programm der Optimierung des Menschen. Der Philosoph, Theologe und Religionswissenschaftler Christoph Quarch arbeitet freiberuflich als Autor, Vortragender und Berater.

Die Medienkonsumenten von heute gleichen Platons Höhlenbewohnern

Das Gute zu verstehen und selbst gut zu sein ist dasselbe. Der Weg zum gut sein besteht vor allem darin, Darstellungsverhältnisse zu durchschauen, um auf diese Weise zu einem umfassenden Verständnis des Seins und Wesens aller Dinge zu gelangen. Die Welt der Höhle in Platons „Höhlengleichnis“ steht für die Welt des alltäglichen Bewusstseins: Der Mensch hält sich an das, was vor seinen Augen erscheint. Er nimmt es für bare Münze, was die Medien ihm vermitteln, und er hält die virtuelle Welt der Bilder für die Wirklichkeit.

Viele der heutigen Medienkonsumenten sind perfekte Beispiele für die platonischen Höhlenbewohner – zumal Platon sagt, sie hätten „Ehre, Lob und Belohnungen für den bestimmt, der das Vorüberziehende am schärfsten sieht und sich am besten merkt, was zuerst zu kommen pflegt und was zuletzt und was zugleich – und so am besten prognostizieren kann, was als nächstes kommen werde“. Es ist eine der modernen Lebenswelt verstörend ähnliche virtuelle Welt, die Platon als niedrigstes Niveau des Bildungswesens vorstellt.

Ideen bringen Dinge aus dem Nichts ins Sein

Es handelt sich dabei um eine Welt, in der die Menschen ihre Meinungen und Ansichten bzw. das, was man ihnen für wahr verkauft, unreflektiert als Wahrheit anerkennen. Christoph Quarch ergänzt: „Und wir werden sehen, dass es äußerst mühsam ist, die Menschen, die in einem solchen Bewusstsein gefesselt sind, dazu zu bringen, sich darüber klar zu werden, dass sie virtuellen Bildern und Meinungen erlegen sind.“ Sollte das gelingen, wäre immerhin ein Niveau des Bewusstseins erreicht, das es Menschen erlaubt, sich souverän in der Höhle zu bewegen.

Zudem würden sie dann wissen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Darstellung und Dargestelltem: zwischen der realen sinnlich wahrgenommenen Welt einschließlich aller Dinge und Wesen und ihren virtuellen Repräsentationen in Schatten, Bildern, Worten oder Tönen. Platon vertritt folgende These: Alles das, was erscheint und was geworden ist, ist nur deshalb aus dem Nichts ins Sein getreten, weil Ideen es als Seiendes dem Meer der Möglichkeiten abgerungen haben. Quelle: „Platon und die Folgen“ von Christoph Quarch

Von Hans Klumbies