Lebenskrisen können zu nachhaltigen Veränderungen führen

Psychiater betrachten die Lebenskrisen ihrer Patienten als Chance, nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Könnte das für die Psychiatrie selbst auch gelten? Randolph M. Nesse weiß: „Einige Menschen erhalten den sogenannten Darwin Award, verliehen an die „Verlierer im Roulette des Lebens“, sprich an Menschen, die sich durch selbstverschuldete Idiotie getötet oder unfruchtbar gemacht haben.“ So erreichte der abenteuerlustige Mann, der den Startbeschleuniger einer Rakete an seinem Auto befestigte, eine Geschwindigkeit von 480 Kilometern die Stunde, bevor er sich an einer Felswand platt walzte. Auf der anderen Seite der Scala haben manche Menschen Angst, das Haus zu verlassen. Professor Randolph M. Nesse ist Mitbegründer der Evolutionären Medizin. Seit 2014 lehrt er and er University of Arizona, wo er als Gründungsmitglied und Direktor das Center for Evolution and Medicine leitet.

Alle Phänomene in der Natur benötigen zwei Erklärungsansätze

Die Menschen, die das Haus kaum verlassen, sterben seltener in jungen Jahren, aber sie haben seltener Kinder. Randolph M. Nesse ergänzt: „Menschen mit einem gemäßigten Angstniveau haben mehr Nachkommen, und deshalb sind die meisten von uns irgendwo in der Mitte des Spektrums verortet.“ Die natürliche Selektion begünstigt Organismen mit Verhaltensweise, die ihren Reproduktionserfolg maximieren. Das ist keine hypothetische Theorie, sondern ein Prinzip, das zutreffend sein muss.

Altwerden ist nützlich, um zu gewährleisten, dass jedes Jahr einige Individuen einer Population sterben und sich die Spezies schneller an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann. Biologen erklärten Randolph M. Nesse, dass Gene, die für eine Spezies von Vorteil sind, dennoch aus dem Pool aussortiert werden, wenn die Individuen mit diesen Genen weniger Nachkommen haben als die durchschnittliche Anzahl. Im Verlauf der nächsten Wochen halfen Randolph M. Nesse seine neuen Kollegen aus der Evolutionsbiologie bei der Erkenntnis, dass alle Phänomene in der Natur zwei Erklärungsansätze benötigen.

Nikolas Tinbergen erweitert das Konzept der biologischen Forschung

Die gewöhnliche Herangehensweise beschreibt die Mechanismen des Körpers und ihre Funktionsweise, von Biologen als proximate Erklärungen bezeichnet. Randolph M. Nesse fügt hinzu: „Die andere Herangehensweise beschreibt, wie diese Mechanismen zu dem wurden, was sie heute sind; das ordnen Biologen den evolutionären oder ultimaten Erklärungen zu.“ Während der medizinischen Ausbildung von Randolph M. Nesse stand ausschließlich der proximate Teil der Biologie im Mittelpunkt, der sich mit den Mechanismen befasst.

Von der anderen Hälfte, die erklärt, warum der Körper zu dem wurde, was er heute ist, war nie die Rede. Randolph M. Nesse stellt fest: „Die mangelnde Erkenntnis, dass evolutionäre Erklärungen eine wesentliche Ergänzung für proximate Erklärungsmodelle sind, hat zu einigem Wirrwarr beigetragen.“ Der Ethnologe und Nobelpreisträger Nikolas Tinbergen erweitere dieses Konzept um die vier Grundfragen der biologischen Forschung. Sie lauten: Wie funktioniert der Mechanismus? Wie entwickelt er sich im Verlauf des individuellen Lebens? Welchen Wert hat er für die Anpassung innerhalb einer Art? Und unter welchen Voraussetzungen hat er sich stammesgeschichtlich entwickelt? Quelle: „Gute Gründe für schlechte Gefühle“ von Randolph M. Nesse

Von Hans Klumbies