Die Affekte und die Vernunft bilden Kulturen

Über die Tatsache hinaus, dass sie von Menschen erdacht wurden, wurden der Hammurabi-Codex, die Zehn Gebote, die Verfassung der Vereinigen Staaten und die Charta der Vereinten Nationen von den jeweiligen besonderen Umständen ihrer Zeit und ihres Ortes geprägt. Aber auch von den Personen, die solche Codices entwickelten. Antonio Damasio erläutert: „Eine universelle, umfassende Formel gibt es nicht. Sondern hinter solchen Entwicklungen stehen mehrere Formeln. Teile jeder denkbaren Formel sind allerdings tatsächlich universell.“ Biologische Phänomene können Ereignisse, die zu kulturellen Phänomen werden, in Gang setzen und prägen. Und dass muss am Anbeginn der Kulturen unter ganz bestimmten Umständen, die durch die Individuen und Gruppen sowie ihren Ort, ihre Vergangenheit und so weiter definiert wurden, geschehen sein. Also durch das Wechselspiel von Affekt und Vernunft. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

Das Gehirn entwickelt sich durch genetische Vererbung

Die entscheidenden biologischen Phänomene – Gefühle und Intellekt im kulturellen Geist – sind nur ein Teil der Geschichte. Darüber hinaus muss man auch die kulturelle Selektion in Rechnung stellen. Und zu diesem Zweck braucht man die Erkenntnisse der Geschichtsforschung, Geographie, Soziologie und vieler anderer Fachgebiete. Gleichzeitig muss man anerkennen, dass die Anpassungen und Fähigkeiten, deren sich der kulturelle Geist bediente, das Ergebnis von natürlicher Selektion und genetischer Übertragung waren.

Antonio Damasio erklärt: „Für den Übergang von den frühen Lebensformen zum heutigen Leben der Menschen waren Gene von zentraler Bedeutung.“ Es ist das Gehirn, mit dessen Hilfe die Menschen kulturelle Ideen, Praktiken und Instrumente erfanden. Dieses wurde durch genetische Vererbung zusammengefügt und unterlag über Jahrmilliarden hinweg der natürlichen Selektion. Der kulturelle Geist der Menschen und die Menschheitsgeschichte dagegen gab man im Wesentlichen mit kulturellen Mitteln weiter. Diese werden vorwiegend durch kulturelle Selektion gestaltet.

Die Intelligenz basiert auf Wissen und Fühlen

Das Lernen und das Gedächtnis entwickelten sich immer weiter. Dadurch waren die Individuen zunehmend in der Lage, Erinnerungen an Tatsachen und Ereignisse zu erzeugen, abzurufen und zu handhaben. Damit eröffnete sich der Weg zu einer Intelligenz, die auf Wissen und Fühlen basierte. Zu diesem Prozess der intellektuellen Erweiterung kam die verbale Sprache hinzu. Diese konnte eine leicht zu handhabende und zu übertragende Beziehung zwischen Ideen, Worten und Sätzen herstellen. Von da an war die kreative Flut nicht mehr einzudämmen.

Antonio Damasio schreibt: „Die natürliche Selektion hatte ein weiteres Tätigkeitsfeld erobert. Nämlich das der Ideen, die hinter bestimmten Handlungen, Praktiken und Erzeugnissen standen. Jetzt konnte die kulturelle Evolution sich der genetischen Evolution anschließen.“ Der fruchtbare Geist des Menschen und das komplizierte Gehirn, das ihn erst möglich macht, lenken die Menschen von der langen Reihe biologischer Vorläufer ab, die für ihre Existenz verantwortlich sind. Letztlich hat die Kreativität der Menschen ihre Wurzeln im Leben. Und in der atemberaubenden Tatsache, dass das Leben mit einer präzisen Vorgabe ausgestattet ist. Es soll in jedem Fall widerstandsfähig sein und sich in die Zukunft fortpflanzen. Quelle: „Im Anfang war das Gefühl“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies

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