Der Mensch muss sich selbst gestalten

Dem Menschen fehlt ein vorgegebener Weltbezug, er ist wie der Philosoph Günther Anders schrieb, durch eine fundamentale Weltfremdheit bestimmt. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Damit ist der Mensch aufgefordert, sich selbst zum Gegenstand nicht nur der Reflexion, sondern der Gestaltung zu machen.“ Die fälschlicherweise oft Goethe zugeschriebene Maxime aus den Oden des Pindar liebte Friedrich Nietzsche und übersetzte sie mit „Werde der, der du bist“. Friedrich Nietzsche hat darüber in den „Fröhlichen Wissenschaften“ folgendes geschrieben: „Wir aber wollen Die werden, die wir sind, – die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selbst-Schaffenden!“ Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

Das Wesen des Menschen ist seine Unbeständigkeit

Dass der Mensch ein disponibles Wesen sei, dass er der ist, der er werden kann, weil er imstande ist, sich selbst zu gestalten und zu überschreiten, deutet sich in diesen Sätzen mit Nachdruck an. Günther Anders wird diesen anthropologischen Befund später mit einem prägnanten Satz bündeln: „Künstlichkeit ist die Natur des Menschen und sein Wesen ist Unbeständigkeit.“ Die Optimierungskonzepte der Gegenwart haben diesen Gedanken zur Voraussetzung.

Der Mensch sei nichts Gegebenes, sondern muss als Aufgabe begriffen werden. In welche Richtung dieses Sich-selbst-Schaffen allerdings gehen soll, ist Gegenstand heftiger philosophischer, technologischer und ideologischer Kontroversen. Lohnt sich der Versuch, den Menschen und seine physischen, psychischen und kognitiven Anlagen zu verbessern und zu optimieren? Oder wäre es nicht gleich angebracht, die Gattung Mensch aufzugeben und die Evolution durch künstliche Intelligenzen fortsetzen zu lassen? Das waren Fragen, die zumindest vor der Corona-Pandemie die trans- und posthumanistischen Debatten und Fantasien der jüngsten Vergangenheit dominierten.

Die Ästhetisierung des Lebens ist eine Fluchtbewegung

Friedrich Nietzsche hat die Dimensionen und Konsequenzen einer fundamentalen Fraglichkeit des Menschen sehr scharf und radikal erfasst. Konrad Paul Liessmann weiß: „Obwohl gewissen biologisch angehauchten Züchtungsfantasien nicht abgeneigt, dachte er diese Selbstschaffung in hohem Maße aus der Perspektive des Künstlers.“ Die Aufgabe des Menschen wäre, sich ohne Vorbild, gleichsam aus dem Nichts, selbst zu entwerfen, zu gestalten, zu formen.

Diese Ästhetisierung des Lebens ist jedoch eine Fluchtbewegung. Diese erlaubt es, den existentiellen Ekel vor einem Dasein, dessen Nichtigkeit nicht zu überwinden ist, wenigstens ins zeitweilig Erträgliche umzubiegen. Der Mensch ist aufgerufen, auf diese unhintergehbare Endlichkeits- und Nichtigkeitserfahrung achtzugeben. Diese lauert im Hintergrund allen Tuns. Oh Mensch! Gib Acht! Oh Mensch? Die Fraglichkeit des Menschen grundiert in einer mannigfachen Weise Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“. Zugespitzt formuliert: Der Mensch ist das problematische Objekt und der nicht minder problematische Adressat des „Zarathustra“. Quelle: „Alle Lust will Ewigkeit“ von Konrad Paul Liessmann

Von Hans Klumbies