Die Vernunft führt zur Bildung von Urteilen

Weil der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, sollten auch vernünftige Erkenntnisse und Überlegungen dazu führen, dass man sich gegen Unrecht stellt. Der Duden definiert Vernunft als „geistiges Vermögen des Menschen Einsichten zu gewinnen und Zusammenhänge zu erkennen. Dazu kommt die Fähigkeit, etwas zu überschauen, sich ein Urteil zu bilden und sich in seinem Handeln danach zu richten“. Klaus-Peter Hufer stellt fest: „Demzufolge müsste Vernunft zu einer unabhängigen und reflektierten Urteilsbildung führen.“ Damit ist jedoch noch kein Ziel gegeben, in welche Richtung diese Bildung des Urteils führt. Ein vernünftiger Mensch sollte erkennen können, dass die Billigung individueller Gewalt das zwischenmenschliche Zusammenleben unmöglich macht. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

Die Vernunft ist mehr als der Verstand

Zum einen geht dabei die Sicherheit im Alltag verloren, zum anderen setzt sich immer nur der Stärkere durch. Physisch schwächere Menschen lebten dann gefährlich. Das kann nicht vernünftig sein. Es gibt Gesellschaften beziehungsweise Regierungen, deren Existenz auf Gewalt beruht. Diese lassen keine Entscheidungen zu, die mit rationalen Kriterien zustande kommen. In solchen Gesellschaften und in solchen Staaten regieren die Irrationalität und die Willkür.

Frieden und Gerechtigkeit sind dort immer gefährdet beziehungsweise befriedete oder gerechte Zustände treten erst gar nicht ein. Ein vernünftiger Mensch müsste das durchschauen und entsprechend handeln. Das heißt, sich solchen Situationen beziehungsweise Verhältnissen widersetzen. Dabei ist für Immanuel Kant klar, dass Vernunft mehr ist als Verstand. Denn sie kann sich auch über sinnliche Eindrücke hinwegsetzen. Seiner Meinung nach beginnt die menschliche Erkenntnis bei den Sinnen, geht von da zum Verstand und endet bei der Vernunft. Etwas Höheres als sie gibt es im Menschen nicht.

Urteilsfähigkeit und Mündigkeit ermöglichen Zivilcourage

Klaus-Peter Hufer weiß: „Der Gebrauch der Vernunft ist zentral in Idee und Programm der Aufklärung.“ Aufklärung wiederum ist nichts anderes als Entwicklung von Urteilsfähigkeit. Zu ihr gehört es im wahrsten Sinne des Wortes, den Überblick zu bewahren. Das bedeutet, in einer fragmentierten und unübersichtlichen Welt Zusammenhänge zu begreifen. Zudem heißt das, sich nicht in Einzelinformationen, in Mehrheitsmeinungen und Ideologien hängen zu bleiben.

Dies ist nicht einfach, führt aber zur Unabhängigkeit. Für Oskar Negt ist der aufgeklärte Mensch, der diese Zusammenhänge begreifende Mensch, und das ist die Grundlage seiner Mündigkeit. Die entscheidenden Merkmale von Zivilcourage sind Urteilsfähigkeit und Mündigkeit. Hannah Arendt kommt bei ihrer Beurteilung der Mitläufer im Nationalsozialismus und derjenige, die sich widersetzten, zum folgenden Ergebnis: „Diejenigen, die nicht teilnahmen und von der Mehrheit als unverantwortlich bezeichnet wurden, waren die Einzigen, die es wagten, selbst zu urteilen.“ Quelle: „Zivilcourage“ von Klaus-Peter Hufer

Von Hans Klumbies