Karlheinz A. Geißler kritisiert die Fortschrittsgläubigkeit

Seit seinem Auftauchen vor rund 250 Jahren treibt der Fortschritt die Menschen mit dem Slogan „Vorwärts immer – rückwärts nimmer“ an. Karlheinz A. Geißler glaubt, dass er dies auch in Zukunft tun wird, da er keine Spur von Ermüdungserscheinungen an ihm erkennen kann, selbst wenn der Glaube an die Einlösung seiner Versprechungen in letzter Zeit abgenommen hat. Damit es mit dem Fortschritt weiter und immer weiter geht, dafür sorgen vor allem der Kapitalismus und jene Personen, Gruppen und Institutionen, die von ihm profitieren. Karlheinz A. Geißler nennt sie beim Namen: „Dazu zählen an erster Stelle Techniker, Ingenieure, Architekten, Mediziner, Politiker, aber auch Lehrer und Lehrerinnen, Berater und Beraterinnen sind dabei.“ Professor Dr. Karlheinz A. Geißler lehrt, lebt und schreibt in München. Eine der amüsantesten Erfindungen der Menschheit, die Zeit, hat er zu seinem Lebensthema gemacht.

Das Fortschrittssymbol schlechthin ist das Auto

Wenn der Fortschritt etwas mit Veränderung zu tun hat, woran kaum ein Mensch zweifelt, dann ändert sich die Welt in diesen Tagen schneller als je zuvor. Versteht man jedoch unter Fortschritt die zunehmende Verbreitung jener Inhalte, Ziele und Werte die nicht ganz frei vom Pathos der Aufklärung proklamiert wurden, kann man laut Karlheinz A. Geißler durchaus gute Argumente für die Einschätzung finden, dass dieses Konzept zumindest teilweise als gescheitert erklärt werden solle.

Nicht zuletzt deshalb, weil den Menschen des 21. Jahrhunderts eine Vorstellung von Fortschritt abhanden gekommen ist, die nicht „schneller, höher, mehr“ heißt. Als bestes Beispiel für das Fortschrittssymbol schlechthin führt Karlheinz A. Geißler das Auto an. Er schreibt: „Zur fahrbaren Ideologie geworden, konnte es nur durch die notorische Verdrängung der Tatsache zum Leuchtturm des Fortschritts werden, dass zugleich mit dem Auto auch der Autounfall erfunden wurde.“

Die Zeit hat sich von einer sanftmütigen Göttin in einen Eilteufel verwandelt

Karlheinz A. Geißler weist auf die weltweit mehr als 20 Millionen Verkehrstoten hin, die ein beredtes Zeugnis für diese Verdrängungsleistung sind. Zudem richtet der Autoverkehr riesige Schäden an der Umwelt an, indem er ehemals blühende Landschaften in menschenfeindliche Lebensräume verwandelt. Karlheinz  A. Geißler fügt hinzu: „In Deutschland hat`s der Fortschritt fertiggebracht, dass jede noch so kleine Ortschaft inzwischen einen Schnellstraßenanschluss vorweisen kann. Ganz Deutschland liegt heute an der Autobahn.“

Wenn man unter Fortschritt vor allem die Expansion und die Intensivierung des Verwertungssystems versteht, sprich des Marktes in Raum und Zeit, dann hat sich dieser Fortschritt in einem kaum vorstellbaren Ausmaß beschleunigt, wobei von einem Ende nicht abzusehen ist. Karlheinz A. Geißler ergänzt: „Konnte man die Zeit ehemals als sanftmütige Göttin bezeichnen, wie Sophokles dies tat, so hat sie sich inzwischen in einen Eilteufel verwandelt.“ Die Menschen haben sich in ein Tempodrom hineinbegeben und dort eingerichtet.

Von Hans Klumbies