Hannah Arendts Denken ist aktueller denn je

In ihrem neunen Buch „Der Streit um Pluralität setzt sich Juliane Rebentisch mit der politischen Philosophie Hannah Arendts auseinander. Es besteht für die Autorin kein Zweifel, dass die Schriften von Hannah Arendt heute nicht zuletzt aufgrund ihrer Aktualität ihrer Themen wieder mit großem Interesse liest. Schonungslos beschreibt sie die Unzumutbarkeiten von Flucht und Staatenlosigkeit. Ihre eindrücklichen Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Wahrheit haben Eingang in die öffentlichen Debatten der Gegenwart gefunden. Hannah Arendt Leben war bekanntlich geprägt durch die Erfahrungen von Antisemitismus, Staatsterror, Flucht und Staatenlosigkeit. Juliane Rebentisch betont: „Die geistesgeschichtliche Bedeutung Hannah Arendts bemisst sich nicht zuletzt an den zum Teil heftigen Kontroversen, die ihre Publikationen in der Öffentlichkeit auslösten.“ Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

Der Sinn von Politik ist Freiheit

Hannah Arendt war eine streitbare Intellektuelle, und diese Streitbarkeit hat ihren Rückhalt in ihren Überzeugungen. Ihre Thesen waren oft provokativ, ihr Ton häufig sarkastisch und eigensinnig ihre Argumentation. Zwischen diesem Eigensinn der Texte und den darin entfalteten Thesen besteht ein interner Zusammenhang. Es ist das Motiv der Pluralität, das sich wie ein roter Faden durch all ihre Publikationen zieht. Tatsächlich steht die Überzeugung, dass menschliche Würde nicht ohne Pluralität gedacht werden kann, im Hintergrund ihrer umstrittensten Interventionen.

Weil Sprechen und Handeln für Hannah Arendt die politischen Tätigkeiten „par excellence“ sind, geht es ihr also um Pluralität als politisches Phänomen. Genau in diesem Zusammenhang gründet auch das bei Arendt überaus eng gedachte Verhältnis von Politik und Freiheit. „Der Sinn von Politik ist Freiheit“, lautet eine ihrer berühmtesten Formulierungen. Politik und Freiheit fallen bei ihr zusammen. Freiheit ist politische Freiheit – oder sie ist gar nicht.

Hannah Arendt entwickelt die These von der Banalität des Bösen

In ihrem Buch über Totalitarismus nennt Hannah Arendt das Konzentrationslager „die konsequenteste Institution totaler Herrschaft“. Im Jahr 1961 wohnt sie dem Strafprozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem als Berichterstatterin bei. Im Zentrum ihres Prozessberichts steht nicht die Figur der Weltlosigkeit, sondern die der Gedankenlosigkeit der Täter. In ihr sieht Hannah Arendt eine Gestalt des Bösen, die sich gerade auf Grund ihrer mangelnden Radikalität, ihrer mangelnden Tiefe und Dämonie ausbreiten konnte wie ein „Pilz“. In Jerusalem wird ihre These von der Banalität des Bösen kontrovers diskutiert.

„Die Endlichkeit“ notiert Hannah Arendt in ihr Denktagebuch, „ist politisch gesprochen weder im Faktum des Todes noch im Faktum des Geschaffenseins gegeben […], sondern nur in der Pluralität, die als Faktum nur durch absolute Beherrschung überwunden werden kann“. Alles Streben nach Allmacht muss, sagt sie in „Vita activa“, „immer danach trachten […] Pluralität zu vernichten“. Der Anspruch auf Totalität kann sich nur als Tyrannei realisieren. Während Stärke für Hannah Arendt eine individuelle Eigenschaft ist, entsteht Macht zwischen den Menschen und daher kann sie niemand besitzen.

Der Streit um Pluralität
Auseinandersetzungen mit Hannah Arendt
Verlag: Suhrkamp
Gebundene Ausgabe: 287 Seiten, Auflage: 2022
ISBN: 978-3-518-58781-2, 28,00 Euro

Von Hans Klumbies