Jede Liebesgeschichte ist eine potentielle Leidensgeschichte

Der „Independent“ schrieb über das neue Buch „Lebensstufen“ von Julian Barnes folgendes: „Jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat und leidet, oder jeder, der leidet, sollte es lesen.“ Wie Julian Barnes im dritten Kapitel „Der Verlust der Tiefe“ seine Trauer um seine geliebte Frau Pat beschreibt, mit der er 29 Jahre verheiratet war, ist in der Tat einzigartig. Die Liebe schenkt dem Menschen zwar ein Gefühl von Glaube und Unbesiegbarkeit, aber Julian Barnes glaubt, dass jede Liebesgeschichte gleichzeitig eine potentielle Leidensgeschichte sei. Seine Frau Pat war für den Schriftsteller sein Herzblut und sein Lebenssinn. Umso tragischer war es für ihn, dass zwischen der Diagnose und dem Tod seiner Frau nur 37 Tage lagen. Julian Barnes erhielt zahlreiche europäische und amerikanische Buchpreise. Im Jahr 2011 wurde er mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet.

Jeder Mensch trauert auf seine Weise

Julian Barnes hat während dieser schrecklichen Zeit versucht, nie wegzuschauen und sich immer der jeweiligen Situation zu stellen. Als Folge davon stellte sich bei ihm eine wahnsinnige Hellsichtigkeit ein. Julian Barnes weiß auch, dass die meisten Menschen sehr schlecht mit dem Tod umgehen können, diesem banalen, einzigartigen Ereignis. Das Leid dabei ist nahezu unvorstellbar: nicht nur seine Länge und Tiefe, sondern auch sein Ton und seine Beschaffenheit, seine Täuschungen und trügerischen Hoffnungsschimmer sowie seine Neigung zu Rückfällen.

Das Leid ist für Julian Barnes wie der Tod, banal und einzigartig. Jeder Mensch trauert auf seine Weise. Er beschreibt das anhand von Beispielen, wie seine Freunde mit dem Tod ihrer Partner umgegangen sind. Wenn jemand tot ist, heißt das zwar, dass er nicht mehr am Leben ist, aber es heißt nicht, dass es ihn nicht mehr gibt. Deshalb spricht Julian Barnes ständig mit seiner toten Frau Pat. Das kommt ihm ebenso normal vor, wie es für ihn notwendig ist. Auch in seinen Träumen war er mit seiner geliebten Ehefrau noch lange nach ihrem Tod zusammen.

Es ist immer ein Risiko sich zu verlieben

Die ersten beiden Kapitel handeln von der Ballonfahrt, der Fotografie und der Liebe. Julian Barnes setzt sich unter anderem mit der Frage auseinander, ob es ein Wagnis sei, einen anderen Menschen zu lieben. Und der kommt dabei zu folgender Antwort: „Es ist immer ein Risiko sich zu verlieben, aber wenn man sich nicht mehr verliebt, ist man tot.“ Generell handelt das Buch „Lebensstufen“ von der Existenz des Menschen, sei es auf der Erde oder in der Luft.

Im ersten Kapitel „Die Sünde der Höhe“ lernt der Leser Fred Burnaby kennen, einen der ersten Ballonfahrer der Welt. Die Aeronautik, spricht die Ballonfahrt und die Fotografie waren damals leuchtende Beispiele für den Fortschritt. Im zweiten Abschnitt „Auf ebener Bahn“ bringt Julian Barnes zwei Menschen zusammen und manchmal entsteht dabei Neues, und dann hat sich die Welt verändert. Die Menschen streben laut Julian Barnes ständig nach Liebe, weil in der Liebe die Wahrheit und die Magie zusammentreffen.

Lebensstufen
Julian Barnes
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Gebundene Ausgabe: 141 Seiten, Auflage: 2015
ISBN: 978-3-462-04727-1, 16,99 Euro

Von Hans Klumbies